Die Geburt der Grafschaft Minas Faer
von Alessario Vargas
Öl auf Leinwand
Ausleihe aus Privatbesitz an die Galerie der Bibliothek zu Ost-Agar Ein recht großes Gemälde, mit dem die feierliche Übergabe des Schlüssels der Stadt Minas Faer an den Grafen Atherton Salas im Gegenzug zu seinem Treueschwur dokumentiert wird.
Der Maler stellt mit opulenten Farben und einer Fülle an Details den Augenblick dar, als Salas mit seinem Gefolge die Stufen erreicht, während Winthallan ihn oben am Portal derselben Stufen vor den Toren der Stadt erwartet.
Offensichtlich hat der Künstler den Schauplatz nie mit eigenen Augen gesehen, sondern sich auf Erzählungen und bildliche Darstellungen verlassen. Dem kundigen Betrachter dürften also die willkürlichen Änderungen der örtlichen Gegebenheiten auffallen, die es dem Künstler erlaubten, das Geschehen mehr symbolisch und effektvoll, als historisch korrekt in Szene zu setzen.
So ist beispielsweise der düstere Gewitterhimmel im rechten oberen Bildbereich als ein Hinweis auf den abklingenden Konflikt der beiden Parteien zu verstehen, der beinahe zu einem verheerenden Krieg geführt hätte. Im mittleren oberen Bildbereich sieht man dagegen hellere Wolken, die dann auch den Blick auf den klaren blauen Himmel und die Sonne auf der linken Seite freigeben, die die Szenerie in ein freundliches warmes Licht taucht.
Von überschwänglichem Pathos und einem starken Hang des Künstlers zur Romantik hingegen kündet der Regenbogen, der sich vor den dunklen Wolken über den Dunst des Wasserfalls wölbt.
Selbstverständlich steht der Regenbogen auch hier für den Frieden und einen hoffnungsvollen Neubeginn.
Die Lage der Stadt am Wasser hat der Maler nach eigenem Gutdünken verändert, damit die ideale Bildkomposition, die sich an einer leicht gewölbten horizontalen Linie orientiert, erreicht werden kann.
Gleichwohl liegen die höchsten Gebäude Minas Faers auf diesem Bild scheinbar auch direkt in der Stadtmitte, sodass sie sich im Bildmittelpunkt am höchsten aufreckt, während sich die anderen Bauten ein wenig bescheidener darum herum scharen. Von den Gebäuden und Mauern der Stadt selbst scheint ein Leuchten und Strahlen auszugehen, wie die romantische Verklärung eines lang ersehnten Wunschtraumes. Die warmen Strahlen der Sonne hüllen die Stadt liebevoll in einen goldenen Glanz.
Der Künstler hat dieses Zusammentreffen auf den frühen Vormittag gelegt, um anzudeuten, dass die ersten Aufgaben getan sind, der größte Teil der Arbeit jedoch noch vor uns liegt.
Er wählte einen Blickwinkel vom Fuße der Treppen vor den Toren von Minas Faer, im Rücken des Grafen Salas und einiger seiner Gefolgsleute, mit dem Blick auf die Tore und die Stadtmauern voraus.
Die schiere Anzahl der Personen auf dem Bild deutet – trotz der gut zu erkennenden Gesichtsausdrücke - darauf hin dass es dem Künstler mit dieser Arbeit nicht um eine lebensechte Porträtierung der Beteiligten ging.
Vielmehr legt die Positionierung der Stadtsilhouette im aufgehellten Bildmittelpunkt den Schluss nahe, dass er uns die Stadt selbst gleichsam als eine Person auf einem Porträt vorstellen möchte.
So steht Fürst Cinlir Winthallan ein Stück unterhalb dieses Bildmittelpunktes, eine stolze, aufrechte Gestalt in höfisch-prunkvoller Garderobe, der mit einem leichten Stirnrunzeln, so möchte man meinen, dem Grafen entgegensieht.
Der Maler stattete den Fürsten mit allen erforderlichen Insignien seiner Position aus und wählte leuchtende, klare Farben, um die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Allein der voluminöse Umhang mit den feinen Stickereien deutet mit seinen verschwenderischen Falten auf Wohlstand und Fülle hin.
Und doch scheint er den Fürsten nicht zu erdrücken, sondern schmeichelt seiner Statur und verleiht ihm zusätzlich zu seiner amtlichen und militärischen Würde noch einen Hauch Eleganz.
Der scheidende Fürst von Minas Faer sieht dem Grafen allein entgegen, seine Höflinge haben sich einige Schritte weiter hinter ihm in einem weiten Halbkreis aufgereiht und säumen auch die Stufen herunter zum felsigen Erdboden vor der Treppe.
Die Fürstin vermeint man direkt an seiner Seite zu sehen, doch wenn wir genauer hinschauen, wird klar, dass uns der Maler mit der Perspektive einen Streich spielte. Eigentlich steht sie einige Schritte weit entfernt, gekleidet, ebenso wie ihr Mann, nach der neuesten höfischen Mode. In ihrem Gesicht lesen wir eine gefasste Ruhe.
Einzig Prinz Theron, der nicht weit von seiner Mutter steht, scheint das Geschehen mit finsterer Miene zu verfolgen.
Auf der anderen Seite hinter dem Fürsten sind die Prinzen Enlir und Nanndir zu erkennen, die aufgrund ihrer Kleidung mit reichen Stickereien und Wappen, ihrer Haltung und Insignien deutlich zu erkennen und auch von einander zu unterscheiden sind.
Ein paar Schritte hinter dem Fürsten, an seiner rechten Seite vorbei, erkennen wir den Kämmerer Izhkarioth, der ein rotes Samtkissen trägt, das mit einer breiten goldenen Bordüre und goldenen Quasten verziert ist. Das intensive, klare Rot des Kissens sticht an dieser Stelle deutlich hervor, zieht den Blick auf sich und hebt seine Wirkung hervor. Tatsächlich ist dieses Rot auf dem Bild einzigartig, denn alle anderen Rottöne sind dagegen abgedunkelt und gedeckt.
Auf diesem aufwändig verzierten Kissen, dem der Maler wohl eine große Bedeutung beimaß, liegt der goldene symbolische Schlüssel zu den Stadttoren von Minas Faer, der dem Grafen Salas nun überreicht werden soll.
Die drei Figuren liegen in der vom Künstler gewählten Perspektive alle auf derselben leicht schrägen Linie, sodass es sich nicht ausmachen lässt, welchen der beiden Männer der Kämmerer gerade anschaut.
Folgen wir der Reihe des Gefolges Winthallans, so erblicken wir als nächstes seinen treuen Seneschall Aldorn und seine Gattin.
Beide haben eine aufrechte, beinahe militärische Haltung eingenommen, die nicht so recht zu ihren zeremoniellen höfischen Gewändern passen will.
Ser Aldorn trägt eine ernste, beherrschte Miene zur Schau, während seine Gattin der Gräfin Fianah ein verschwörerisches Lächeln zu schenken scheint.
Als nächstes, an einer von der Sonne hell erleuchteten Stelle, nicht weit vom Fürsten stehend, sehen wir den Berater des Fürsten Gwaethil Eglainion und seine Gemahlin Annamel O Imladris, die für die geistig-seelischen Belange am Hofe Sorge trägt.
Der Maler hat die Elben in ein mysteriöses Leuchten gehüllt, das beinahe von ihnen selbst auszugehen scheint. Zart wie ein Blütenblatt legt sich die Hand der Unsterblichen auf den angebotenen Arm ihres Begleiters. Ein Bildnis überirdischer Anmut und Eleganz. Die beiden strahlen eine zufriedene, heitere Ruhe aus.
Neben ihnen wiederum erkennen wir den Medikus des Hauses, gewandet in grün, der den Salas’ mit gemischten Gefühlen entgegen zu blicken scheint.
Man erkennt weiterhin mehrere uniformierte Männer und Frauen: Wachen im Wappenrock Winthallans, die mit wachsamen Blicken zwischen den Gästen umherschauen.
Auffällig ist auch ein Paar weiter unten auf der rechten Seite der Stufen, das der Maler durch die farbenprächtige und elegante Garderobe von den anderen sie umgebenden Zuschauern abheben möchte, die er dagegen ein wenig unscheinbar wirken lässt.
Ein blonder junger Mann in goldfarbener Gewandung ist gerade im Begriff einer ebenfalls hellhaarigen jungen Frau in einer bestickten blauen Robe etwas zuzuflüstern, die ihm mit einem süffisanten, katzenhaften Lächeln zuhört, während beide die Szene betrachten.
Die anderen Zuschauer zeigen eine große Bandbreite von Emotionen zwischen Besorgnis, Erleichterung, Freude und Zorn.
Einzig die Mienen des Grafen und seiner Leute sind vom Betrachter abgewandt.
Dennoch stellen ihn die aufgestickten Wappen sofort als Atherton Salas vor.
Ein Windhauch bauscht seinen Umhang, als er seinen Fuß auf die erste Stufe setzt.
Detailliert hat der Künstler hier jede Naht und jede Schließe wiedergegeben, man vermeint, die gewebte Struktur der Stoffe zu erkennen, steht er doch nur ein paar Schritte weit weg vom Betrachter. Dennoch erzeugt dieser Umhang nicht denselben Eindruck von Reichtum und Eleganz wie der des Fürsten.
An seiner Seite die Gräfin Fianah, deren sich ebenfalls leicht nach hinten bauschender Umhang den Blick auf ein hübsch verziertes Kleid erkennen läßt.
Schaut man genau hin, so vermeint man an der schräg über die Schulter zu erkennenden Linie ihrer Wange ein Lächeln abzulesen.
Ein dunkelhaariger Mann in Rüstung, der zu Salas’ Gefolge gehört, reicht gerade die Zügel eines Pferdes an einen Uniformierten weiter.
Nicht mehr ganz so hell erleuchtet und eher im Hintergrund sehen wir dort auch noch ein paar Männer in so etwas wie einer schwarzen Uniform, von denen einer sich mit hoch erhobenem Kopf und etwas gediegenerer Kleidung abzuheben scheint, steht er doch auch in der Mitte dieser kleinen Gruppe vor.
Am rechten Bildrand ist noch eine Gruppe von Männern zu sehen, die gerade die rote Stoffplane von einem hölzernen Wagen abdeckt, was einer Anzahl weißer Tauben die Gelegenheit gibt, aufzufliegen.
Die vom hellen Sonnenlicht beschienenen weißen Tauben bilden einen hübschen Kontrast zum düsteren Gewitterhimmel auf der rechten Seite.
Schlußendlich sei noch die schwungvolle Signatur des Malers in der rechten unteren Ecke des Bildes erwähnt: Ein lässiges A V.
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