Zu Hause in Wales gab es einen Brauch. Am Poppy Day steckten sich die Leute eine rote Mohnblume, echt oder aus Papier, an die Brusttaschen oder in die Jackenknöpfe, um den Verstorbenen der Weltkriege zu gedenken. Solche Sachen habe ich immer voll unterstützt – ich habe mich stets als Verfechter des Friedens gesehen, habe Polizisten und Soldaten natürlich ordnungsgemäß verachtet und wusste, wie man einen Blumenkranz knüpft. Ein Bob-Marley-Glücksbärchi sozusagen, ein Krieger der Liebe.
Mein Traum war es immer gewesen, eine dieser großen Gourmetköche zu werden, die aus einer Zwiebel, einem Stück Rind und ein paar Kräutern den Himmel auf die Erde niederreißen konnten. Seien wir mal ehrlich – so unterschiedlich die Kulturen dieser Welt auch sind, essen müssen wir alle. Und gutes Essen kann Jeden glücklich stimmen, egal, ob er aus Japan, aus Namibia oder aus Rom kommt.
Also zog ich nach Paris.
Paris – Stadt der Liebe, der Romantik, der Kunst, des Essens. Nirgendwo wird so gut und so edel gegessen wie in der Hauptstadt Frankreichs; wo über China eine riesige Smogglocke hängt, werden die Himmel über Paris von süßen Gerüchen geschwängert – Hähnchen, Gebäck, Wein, die exotischsten Kombinationen. The Place To Be für eine angehende Fünf-Sterne-Köchin.
Doch so läuft das nicht im Leben. Die Filme über mittellose Studenten, die in Paris plötzlich das große Glück finden und mit einem kleinen, süßen Café das Geschäft ihres Lebens machen, sind allesamt erstunken und erlogen, sein wir mal ehrlich. Paris ist groß, aber nicht groß genug für all die Träume und Hoffnungen, die sich hierher verirren und ehe man sich’s versieht brät man Burger und Steaks in einer Frittenbude in den Vororten von Paris.
Ich könnte darüber eine Menge schreiben. Ich könnte davon erzählen, wie es ist, in einer Einraumwohnung, die nach Fett und Pommes stinkt, zu leben, die Luft feucht von den wenigen Sachen, die ich besaß und die ich fast jeden Tag wusch und zum Trocknen über Nacht über mein Bett hängen musste. Ich könnte auch davon erzählen, wie es ist, einen Arbeitgeber zu haben, der genau weiß, welche Macht er über dich Looser hat und der dich das auch nur allzu gern wissen lässt.
Aber das alles ist in weite Ferne gerückt und scheint mir inzwischen unglaublich nebensächlich.
Was mittlerweile eigentlich zählt, ist das, was ich Poppy, meinem Erzeuger, zu verdanken habe. Ironisch, oder? Ich meine, was in meiner Heimat als Mahnung, zu was Krieg führen kann, galt, hat mir hier in Paris die Augen geöffnet, dass der Krieg noch lange nicht vorbei ist, im Gegenteil, er wütet mit einer unglaublichen Macht unter dem Deckmantel der Nacht und wir alle befinden uns mitten drin. Und wie so oft steht eines der kostbarsten Dinge auf dem Spiel – Freiheit. Nicht nur unsere Freiheit. In erster Linie geht es doch um die Freiheit der Menschen, ihre Freiheit ein unbesorgtes Leben zu führen, in dem sie nicht fürchten müssen, aus einer dunklen Gasse heraus überfallen und ausgesaugt zu werden. Und klar, es geht auch um uns – unsere Freiheit von dem Tier, das in uns allen tobt, die Freiheit von grausamem, instinktgesteuerten Handeln, das uns zu Sklaven unseres Hungers und unseres Jagdtriebes macht. Dieses Tier gilt es im offenen Kampf zu besiegen und zu kontrollieren – immer und immer wieder, jede Nacht aufs Neue.
Doch genauso wollen wir frei sein von denen, die älter sind als wir und deshalb glauben, sie könnten über unsere Wege bestimmen, nur weil sie im selben verfluchten Boot sitzen wie wir. Ich denke, im Grunde geht es einfach darum, dass wir insgeheim das Leben zurückhaben wollen, das wir vorher geführt haben. Wir wollen uns normal unter Menschen bewegen, ohne aufgrund unseres Blutes in Intrigen und Machtspielchen involviert zu werden oder wild keifend durch die Straßen der Stadt zu rennen und Menschen abzuschlachten.
Ich weiß nicht, wie viele meiner Art die Chance hatten, sich für dieses Leben zu entscheiden. Freiwillig. Aber ich hatte sie und obwohl ich erst jetzt allmählich erfahre, was all das bedeutet und was für Konsequenzen es für mich und meine Umwelt hat, erkenne ich auch immer mehr Wege, einen Einfluss auf diese Welt zu nehmen und sie tatsächlich zum Besseren zu wenden. Das hat jetzt nichts mehr mit einem jugendlichen Anflug von 60er-Melancholie zu tun, langsam kommt hier echt einiges zum Kochen.
Und ich habe erkannt, dass ich kein Krieger der Liebe und des Friedens sein kann, ohne einen Krieg zu führen. Um die Kämpfe zu beenden, muss ich zuerst kämpfen – und ganz ehrlich? Ich bin verdammt froh, dass ich das nicht allein machen muss.
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