Paris by night - Aleksandr Stepanowitsch Glebov
06.02.2013
Sigmundsson
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„Genosse General? Ich fürchte es gibt da ernste Schwierigkeiten für uns. Ich habe soeben eine Mitteilung von einem unserer Informanten bekommen, die sofortiges Handeln verlangt. Angeblich wurde unser lieber Grischa mehrfach in Gegenwart von Picard gesehen“, begann Alex, nachdem er das Arbeitszimmer seines Vorgesetzten betreten hatte. Er beobachtete , wie sein Chef diese Meldung aufnehmen würde und machte sich nebenbei einen Drink zurecht. Der Menidzher zeigte keine Regung, blieb an seinem Schreibtisch sitzen und fragte nur: „Ist das sicher?“ „Es spricht alles dafür. Ich habe bereits unseren Informanten bei der Polizei befragt und der hat mir bestätigt, dass Picard Grischa angeworben hat, um uns zu observieren und gegebenenfalls auch an die Behörden auszuliefern. Somit hätten wir auch die undichte Stelle gefunden, die uns in letzterer Zeit so zu schaffen macht“, fuhr Alex fort. Seit der Ermordung des Staatsanwalts  kam es immer wieder zu gezielten Razzien gegen geschäftliche Einrichtungen der Familie; die Regierung betrachtete diese Tat als Kriegserklärung. Fast alle Buchmacher, Drogendealer und Zuhälter in Pigalle und in den Vorstädten waren in koordinierten Aktionen von Polizei und Sondereinsatzkräften verhaftet worden. Ebenso waren mehrere Drogen- und Waffenlager von den Fahndern ausgehoben worden, die eigentlich nur wenigen bekannt waren. Die Informationen dafür, konnte die Polizei nur von einem Mitglied des inneren Zirkels bekommen haben. Natürlich würden sie auch versuchen, Leute zum Überlaufen zu bewegen. Dass es ausgerechnet Grischa Skrinnikov war, der zum Verräter wurde, traf den Boss, der immer große Stücke auf den Jungen gehalten hatte, besonders hart, das wusste Alex. Bei Leutnant Picard wiederum handelte es sich um einen Undercover-Ermittler des Dezernats für organisierte Kriminalität, der der Familie immer wieder Probleme bereitete. Picard zu beseitigen würde die gegenwärtige Lage weiter eskalieren lassen, deswegen musste eine andere Lösung her. Und dann musste er sich noch überlegen, wie mit Grischa zu verfahren sei. Dies alles im Kopf setzte er erneut an: „Wenn Ihr meinen Rat hören wollt, mein lieber Sergej Koljewitsch, dann sollten wir uns darum kümmern, dass der „große Bruder“, schnell wieder besänftigt wird. Dann wird es uns vielleicht möglich sein, Monsieur Picard auf eine weite Reise zu schicken, indem wir unseren politischen Einfluss geltend machen. Vielleicht können wir seine Versetzung in ein anderes Dezernat erreichen. Doch momentan ist an die Nutzung unserer politischen Kontakte nicht zu denken, kein Politiker würde in der gegenwärtigen Kampagne die gegen uns läuft ein Wort des Widerspruchs riskieren.“ „Gut, so machen wir das. Aber willst du mit Grischa tun?“, fragte der Menidzher mit schwerer Stimme, obwohl er die Antwort bereits kannte. Alex lächelte höflich, dann sagte er: „Ich werde ihn besuchen fahren und mit ihm reden. Wanja wird mich begleiten. Man kann ja über alles vernünftig reden.“ „Gut rede mit ihm. Vielleicht kannst du ihm seinen Fehler besser vor Augen führen als ich es vermocht habe.“ , sagte der Menidzher. Er ließ sich nicht anmerken, dass ihn die ganze Geschichte sehr traf. Nur in seinen Augen lag Trauer, das konnte Alex sehen. „Ja, ich werde mein Bestes geben.“, versicherte er, dann trank er sein Glas leer, stellte es auf den Tisch und entfernte sich aus dem Büro seines Chefs. Er rief Grischa auf seiner Festnetznummer an und vereinbarte ein Treffen für  morgen mit ihm. Wanja erwähnte er nicht.  Doch da Grischa den  Killer glücklicherweise nicht kannte, würde er keinen Verdacht schöpfen. Wanja war ein „Freischaffender“ auf Honorarbasis. Er unterstand keinem Kapitan, also einem Mannschaftsführer einer bestimmten Anzahl von Gangstern, sondern war Teil der von Alex aufgebauten „Geheimpolizei“, deren Aufgabe die Überwachung der Familie und die persönliche Sicherheit des Chefs war. Alex hatte diesen drastischen Schritt unternommen, um den Verräter in den eigenen Reihen zu finden. Wenn morgen alles gutging, konnte er die Arbeit seiner „Tscheka“ einstellen, worüber er nicht unglücklich war, denn schließlich untergrub eine solche Maßnahme das Vertrauen der Männer in ihre Führung. Er ging zum abhörsicheren Telefon und wählte Wanjas Handynummer, wartete, bis sich die raue Stimme des Killers meldete: „ Ja? Was willst du?“ „Packen Sie ihre Ausrüstung und finden Sie sich morgen gegen 13 Uhr in meinem Palais an. Es gibt Arbeit zu erledigen.“ „Verstanden, Chef! Soll ich irgendein besonderes Spielzeug mitbringen?“ „Ja, Sie werden nah ran müssen, rüsten Sie sich entsprechend aus. Ach ja noch was: Kein Casual-Dresscode! Wir sind in offizieller Mission unterwegs.“  „Verstanden Chef!“ „Gut, dann sehe ich Sie morgen.“ Alex legte auf.  Nun gab es kein Zurück mehr. Grischa war tot. Er wusste es nur noch nicht.

Am nächsten Tag hielt ein schwarzer Bentley mit getönten Scheiben vor einer der Mietswohnungen im Art-Deco-Stil, wie sie in Montmartre zu finden waren. Ihm entstiegen zwei Männer: Ein kleiner, leicht übergewichtiger mit zurückgegeltem Haar und ein größerer, schlanker mit Armeehaarschnitt. Beide trugen maßgeschneiderte, dunkle Dreiteiler und, trotz des Winterwetters, Sonnenbrillen. Der Größere ging voran und betätigte die Klingel. Dann wurde ihnen geöffnet und das prachtvolle Eingangsportal des Altbaus verschluckte sie.

Alex betrat als erster Grischas Wohnung im dritten Stock, schüttelte ihm förmlich die Hand und setzte sich im geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer auf die Couch, während Wanja dem Hausherrn nur ein kurzes Kopfnicken als Begrüßung zukommen ließ, und sich ansonsten, wie abgesprochen, im Hintergrund hielt. Grischa ignorierte ihn das ganze nun folgende Gespräch über, was ein gutes Zeichen war, denn das bedeutete, dass er ihm unverdächtig erschien. Nachdem Alex den Smalltalk abgehandelt hatte, kam er zum Kern seines Anliegens: „Du sagtest mir am Telefon, dass du einen neuen Lieferanten für unsere Rauschgiftunternehmung aufgetan hättest, ist das richtig?“ „Ja, das stimmt. Er würde uns  Heroin und Kokain in guter Qualität zu einem Spottpreis liefern, aber er braucht einen kleinen Kapitalvorschuss, damit er sich eine Infrastruktur aufbauen kann.“ „Gutgut. Der Menidzher lässt dir ausrichten, dass er an dem Angebot interessiert sei und diesen Lieferanten gerne treffen würde.“ Grischa strahlte begeistert, denn jetzt war er am Ziel: Er hatte den Boss der Pariser Lebedew-Zelle in der Tasche. Denn natürlich war die ganze Sache eine Falle und am Ort des Treffens würde ein Spezialkommando der französischen Polizei warten und die Führungsspitze der Familie, Lebedew und diesen Widerling Alex, verhaften. Leutnant Picard würde ihm dafür einen hübschen Batzen Geld bezahlen und ihm überdies Amnesie gewähren. Schnell beeilte er sich zu sagen: „Das freut mich. Ich kann ein Treffen arrangieren, wenn er wünscht schon morgen.“ „Ja mach das. Wir können neue Lieferanten gut gebrauchen, gerade jetzt. Und jetzt wäre es mir eine Ehre dich als meinen Gast im „Four Seasons“ begrüßen zu dürfen.“ , sagte Alex huldvoll. Nach erfolgreichem Geschäftsabschluss folgte die Einladung, ganz wie im „Regelwerk“ der „Diebe“ vorgesehen. „Ja vielen Dank. Ich werde es ihm ausrichten. Und danke für deine Einladung.“, antwortete Grischa höflich. Er stand auf und zog seinen Mantel über. Dann gingen sie in Richtung des Wagens. Dort angekommen, stieg Wanja hinten ein, was Grischa stutzen ließ. Er hatte ihn offenbar für den Fahrer gehalten. Deswegen zögerte er jetzt, einzusteigen. Alex fiel das auf und er fragte ihn höflich: „Stimmt etwas nicht? Der beste Platz ist dir mit Freundschaft gereicht worden, ich werde es dir allerdings nicht übelnehmen, wenn du meine Freundschaft zurückweist. Denn ein gern gesehener Gast bleibst du mir trotzdem.“ Diese Worte waren zwar auf den ersten Blick freundschaftlich, doch enthielten eine unmissverständliche Warnung. Eine Zurückweisung der Freundschaft war eine Kränkung, die kein ehrenwerter Mann ohne weiteres hinnehmen konnte. Grischa verstand die Warnung, lächelte nervös, und stieg vorne auf dem Beifahrersitz ein. Schließich wollte er so kurz vor dem Ziel seinen Auftrag nicht vermasseln, indem er sich von seinem übertriebenen Misstrauen blenden ließ. Alex lächelte zufrieden und stieg ebenfalls hinten ein. Alex’ Fahrer Iwan fuhr den Wagen erst in Richtung Stadtzentrum, bog dann aber nach Westen in Richtung Bois de Boulogne ab. Der große Stadtpark im Westen von Paris, befand sich aber in der genau entgegengesetzten Richtung, weswegen Alex, wohl wissend um  Grischas Misstrauen, sagte: „ Eine reine Vorsichtsmaßnahme, heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein.“ Der Wagen hielt schließlich auf einem verlassenen Parkplatz im Wald, am Eingang des Parks. Jetzt wurde Grischa wirklich nervös. Er blickte sich hinter zu Alex um. Im selben Moment spürte er ein Ziehen am Hals. Wanja, der hinter dem Beifahrer saß,  hatte ihm blitzschnell eine Klaviersaite, die er an beiden Enden festhielt, um den Hals geworfen und zog nun zu. Grischa versuchte sich daraus zu lösen und zappelte hilflos herum. Doch Wanja zog immer fester und die Klaviersaite begann sich tief in seinen Hals einzuschneiden. „Du denkst wohl, du bist besonders clever? Falsch gedacht. Dachtest du ich würde deinen Verrat nicht bemerken? Hälst du mich für so blöd?“, fauchte Alex ihn an, sein Gesicht vom Hass verzerrt. Grischa lief langsam blau an und er rollte mit den Augen. „Du dreckiges Stück Scheiße! Der Chef hat dir alles gegeben und so dankst du es ihm?“ Grischa gurgelte, sein Zappeln wurde schwächer. „Du widerst mich an.“ Grischa erschlaffte langsam, es begann im Wagen nach Scheiße zu stinken. Das Versagen der Schließmuskeln war ein sicheres Indiz dafür, dass der Mann tot war. Daher fuhren sie auf dem Waldweg in das Innere des Parks und hielten an eine See, der glücklicherweise nicht zugefroren war. Im Winter war um diese Uhrzeit niemand im Park unterwegs. Im Schutze der Dunkelheit schafften sie die Leiche aus dem Wagen. Dann begann Wanja mit einer Geflügelschere bewaffnet und mit Gummihandschuhen an den Händen, Grischas Finger und Zehen abzutrennen, um der Polizei die Identifikation der Leiche zu erschweren. Grischas Portemonnaie, sein Handy und alle anderen Dinge, mit denen man ihn hätte identifizieren können, entfernte Wanja ebenfalls, um sie später zu entsorgen. Nachdem er alle Verrichtungen vorgenommen hatte, packten sie die Leiche in einen eigens dafür mitgebrachten Leichensack und versenkten den leblosen Körper im See. Der See war recht tief, sodass nicht mit einer baldigen Auffindung zu rechnen war. Dann fuhren sie zur nächsten Metrostation, wo sie Wanja absetzten. Er würde einen anderen Weg nach Hause nehmen. Alex hingegen fuhr  nach Hause und meldete über sein Handy Vollzug. Wer hätte gedacht, dass es ausgerechnet Grischa war, der zum Verräter wurde, dachte er. Alex spürte Wut und Unverständnis in sich. Wut über die Undankbarkeit dieses Jungen. Unverständnis über seine Tat. Auch ein wenig Trauer, darüber, dass es so enden musste. "Der Mensch ist sündig und manchem, der zu schwach im Glauben ist, der verfällt der Sünde ganz und geht an ihr zugrunde", erinnerte er sich an einen Teil einer Predigt, die Vater Jewgenij einmal gehalten hatte. Er würde für Grischas unsterbliche Seele beten, damit er wenigstens nach dem Tod Erlösung findet. Der jugendliche Kapitan war einfach zu gierig gewesen und diese Gier hatte ihn anfällig für den Verrat gemacht, hatte ihn zu einem modernen Judas werden lassen. Die Gier, eine der sieben Todsünden, hatte Grischa Skrinnikov diese Nacht geholt...
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