Durch geschickte Mesh-Manipulation gelingt es Michele, Credo und Kate, der Aufmerksamkeit der Polizisten zu entkommen und in die Stadt zu entwischen.
Aber weitere Probleme lassen nicht lange auf sich warten. Das System ist weiterhin in Alarmbereitschaft, und alle Bots sind angehalten, nach den Flüchtigen zu suchen. Getarnt beziehen die drei zunächst ein Zimmer in einem Hotel, dessen Architektur ebenso viktorianisch ist wie die aller anderen Gebäude auch. Der Besitzer des Hotels beäugt sie allerdings misstrauisch. Und als sie ihn schließlich dabei beobachten, wie er einem Straßenjungen Geld in die Hand drückt, woraufhin der Kleine verschwindet, ist klar, dass die drei hier nicht lange Zeit haben werden, um auszuruhen.
Michele stellt Geld her, indem er eine Zeitung in Streifen zerreißt und dem Papier eine entsprechende neue Oberfläche gibt. Kate entdeckt, in welcher Erscheinungsform die fünf Betreiber des Netzwerks in dieser Welt erscheinen: Als königliche Familie Hamilton. Atum ist hier bekannt als König Riley. Die anderen vier Götter – Isis, Osiris, Nephthys und Set – haben hier die Gestalten seiner Kinder. Und offenbar – so erfährt die junge Frau aus der Zeitung – haben die fünf hier kürzlich eine Parade abgehalten, denn ihr Foto ist in dem Blatt abgedruckt, das Michele gerade zu Geld verwandelt.
Nachdem der Italoamerikaner fertig ist, verlassen die drei das Hotel auch schon wieder. Keinen Augenblick zu früh, denn kurz darauf können sie aus der Ferne beobachten, wie eine Horde Polizisten das Hotel betritt und es zu durchsuchen beginnt.
Die Flucht geht weiter, bis Kate plötzlich und unvorbereitet die Gestalt von Tom – MOT, den sie in einer ihrer Erinnerungen gesehen hat – aus einem Schuhgeschäft kommen sieht. Als sie ihn anspricht stellt sich heraus, dass er hier den Namen Jeremy Fisher trägt und besagten Schuhladen besitzt. Weiterhin ist er verheiratet – so lässt der Finger an seiner Hand vermuten – und weil es bereits spät ist, bittet er freundlich aber bestimmt darum, die junge Frau möge doch am nächsten Morgen zum Geschäft zurückkehren, wenn sie sich für das Angebot interessiert. Offenbar ist auch sein Gedächtnis gelöscht worden. Er erkennt Kate nicht wieder. Schließlich steigt er in eine Droschke, und Kate kann nichts tun als ihm hinterher zu blicken und die Tränen niederzuringen.
Credo und Michele hingegen reagieren schneller. Eine weitere Droschke wird heran gerufen, und eine stille Verfolgungsjagd beginnt. Und zur Abwechslung sind es diesmal nicht die drei, die verfolgt werden.
Sie suchen sich einen ruhigen Platz in der Nähe von Jeremy Fishers Haus, und Kate erklärt ihnen, wer dieser Mann überhaupt ist. Oder vielmehr was sie glaubt, wer er ist, denn ihre Erinnerung an ihn ist nach wie vor verschwommen. Aber sie fühlt, dass er für sie eine äußerst wichtige Person ist, die sie auf keinen Fall noch einmal verlieren darf.
Als schließlich das Licht ausgeht im Hause Fisher, dringen die drei in das Gebäude ein.
Doch es kommt, wie es kommen muss: Sie werden entdeckt von einem kleinen Jungen – wohl einem Bot, der in der Simulation Toms Sohn darstellt – der vor den dreien flieht und dabei seltsame spitze Schreie ausstößt. Warnsignale an das System. Das Haus ist in Aufruhr, und schließlich tritt Fisher – Tom – selbst in Erscheinung, mit einem Gewehr bewaffnet und mit einer gehörigen Portion Verwirrung im Gesicht. Und dann geschieht das vor allem für ihn Unfassbare, als der maskierte Jäger Devesh, den die drei Flüchtigen schon aus den anderen Welten kennen, jetzt fünffach auftaucht, als er durch Fenster, Türen und selbst aus der kleinen Standuhr kommt, die sich am oberen Absatz der Treppe befindet. Offenbar hat das System schnelle Transfertunnel für ihn erstellt, so dass er einfach so an jedem Ort der Karte erscheinen kann.
Der Kampf ist hart und schnell. Zuerst schaltet der Jäger Tom mit einer Betäubungswaffe aus. In diesem Augenblick tritt ein Ausdruck der Erkenntnis in Toms Gesicht, als er Kate noch einmal durch die Erschütterung seiner Realität weiter geöffneten Augen erblickt.
Der Kampf geht derweil weiter. Schließlich betäubt der Jäger auch Kate und Credo. Und schließlich auch Michele, der bereits die Flucht angetreten hatte, um seine eigene Haut zu retten.
Als die drei wieder zu sich kommen, finden sie sich in einer unendlich weitläufigen Wüstenlandschaft wieder. Credo, Michele und Kate sind nach Heliopolis gebracht worden – in das Reich der Götter selbst. Schnell entdecken sie, dass sie sich offenbar nur in einem kleinen Bereich bewegen können, ehe sie auf unsichtbare Wände treffen. Ein Gefängnis der Götter. Götter, die nun in der Gestalt von gigantischen Statuen erscheinen, sich dabei aber realistisch bewegen können. Atum steht in der Mitte der fünf und überragt die anderen vier – die beeindruckende 20 Meter groß sind – um beinahe noch einmal 10 Meter.
Fast könnte man den Eindruck bekommen, es handele sich hierbei um eine Gerichtsverhandlung, als wären die drei Flüchtlinge – und nicht die Götter – die Verbrecher hier. Es sind vor allem Isis, Nephthys und Atum selbst, die die Befragung durchführen. Credo, Kate und Michele vermeiden während des Gespräches allerdings geflissentlich, ihre Nummern zu nennen. Schließlich gestehen die drei, dass sie bereits von Lost Havens – Abydos – gehört haben. Sie verlangen zudem zu wissen, wer sie sind, warum sie hier sind – denn wie schon Isis in Weeds behauptet auch Nephthys, alle User seien aus freien Stücken hier – und schließlich verlangen die drei auch die Möglichkeit, selbst entscheiden zu können, ob sie hier bleiben wollen. Die Götter zeigen sich tatsächlich als überraschend einsichtig – auch wenn sie nicht an ihrer Autorität und ihrem göttlichen Status rütteln lassen – und schlagen einen Handel vor. Sie versprechen, die drei nach Abydos zu führen, ihnen zu zeigen, wer sie gewesen sind, und sie dann vor die Wahl zu stellen, ob sie tatsächlich in dieses Leben zurückkehren wollen.
Michele, Kate und Credo lassen sich auf den Handel ein.
Nephthys, die die Herrin von Abydos ist, stellt ihnen eine seltsame Führerin zur Seite, die komplett von einem fließenden Tuch verdeckt wird. Erst als die Reise nach Abydos beginnen soll, erscheint eine zierliche Frauenhand in einer der Falten. Als die drei schließlich danach greifen, verlassen sie die Welt.
Wie immer, wenn sie einen Sprung in eine andere Welt unternommen haben, verlieren sie kurz das Bewusstsein. Als sie schließlich wieder zu sich kommen, finden sie sich in einer sich ständig verändernden Welt wieder. Immer am Rand der Wahrnehmung zieht Nebel auf und droht die Welt zu verschlucken. Betrachtet man einen Ort und schaut dann weg, hat sich das Bild zu einer ganz anderen Szenerie verändert, wenn man zurückblickt. Abydos ist stets im Wandel. Hier leben die Erinnerungen aller, die als User im Netzwerk leben. Nun ist es an den dreien, ihre eigenen Erinnerungen zu finden. Die Suche beginnt.
Fortkommen ist schwierig, denn in dieser Welt aus Erinnerungen gibt es keine logischen Himmelsrichtungen. Kein Oben und Unten. Manchmal, wenn sie eine Tür öffnen, entpuppt sich diese als Dachluke einer anderen Erinnerung, die sie nicht geradeaus, sondern nach unten fallen lässt. Vorsichtig arbeiten sich die drei, begleitet von der seltsamen Führerin, vorwärts. Dabei finden sie mehr und mehr erschreckende Dinge über sich selbst heraus. Offenbar war Kate drogensüchtig und lebte von Prostitution. Credo war querschnittsgelähmt und verbrachte seine Tage einsam und depressiv im Rollstuhl. Und Michele war offenbar so hoch verschuldet, dass er schließlich beschloss, seinem Leben ein Ende zu setzen und seinen Wagen in einen See zu steuern. All diese Szenen und Erinnerungsfragmente, die diese Zusammenhänge am Ende zu einem ungefähren Eindruck der Lebensgeschichten von Kate, Credo und Michele zusammenfügen, können die drei nur als fassungslose Zuschauer betrachten, als würden sie einen grauenhaften Film sehen, auf dessen Verlauf sie keinen Einfluss haben.
Fast sind sie bereit, sich brechen und wieder eingliedern zu lassen, als alle drei bemerken, dass an den Fragmenten ein paar Details ziemlich krumm sind. Denn in den Erinnerungen tauchten nur Dinge auf, die die fünf Götter des Netzwerks aus dem vorangegangenen Verhör herausgehört hatten oder Details, die sie beobachten konnten. Rufnamen. Kate, Credo, Michele. Ein ungefähres Verhaltensmuster. Credos Tätowierung. Kates oft sehr unsichere Körpersprache. Micheles machohaftes Gehabe, der so typisch ist für Italoamerikaner. Michele ist sich zudem sicher, dass er sich nie und nimmer selbst ermordet hätte. Niemals! Und Kate schließlich ist die einzige, die weiß, dass sie außerhalb des Netzwerkes taub ist. Doch ihre Erinnerungen hatten Geräusche. Ganz offensichtlich sind die Szenen, die den dreien hier als ihre Erinnerungen verkauft werden sollten, gefälscht.
Sie geben an, genug gesehen zu haben und verlangen von ihrer Führerin, zurück nach Heliopolis gebracht zu werden. Und just in dem Augenblick, als die Führerin – und damit auch Credo und Michele – zu verblassen beginnen, lässt Kate die Gestalt los und bricht ihren Weltenwechsel ab. Und in dem Augenblick, in dem die Führerin mit ihren Gefährten völlig verschwunden ist, löst sich die Welt, die ihnen als Abydos verkauft werden sollte, in ihre Bestandteile auf. Kate fällt ins Nichts und verliert das Bewusstsein.
Credo und Michele erwachen erneut in dem unsichtbaren Gefängnis in Heliopolis. Unbrechbar zweifeln die beiden die Erinnerungen an, die sie da gesehen haben. Das erzürnt die Götter. Und schließlich bündeln alle fünf ihre Kräfte und lassen einen sengenden Lichtstrahl auf die beiden Männer niedergehen, der sie in rasend schneller Zeit verbrennt. Zuletzt können Michele und Credo sehen, wie sich ihre Simuloiden in Pixel auflösen. Dann fällt Dunkelheit über ihre Sinne. Sie sind betrogen worden.
Kate erwacht im Schlamm. Um sie herum ist es Nacht, die immer wieder erhellt wird von Bombeneinschlägen, die über der Stadt niedergehen, in die sie irgendwie geraten ist. Dann stellt sie fest, dass sie die Uniform eines britischen Soldaten trägt. Und dann schmeckt sie das Blut. Offenbar ist sie in der Nachbildung des ersten Weltkrieges gelandet. Und in dieser Welt gibt es zum ersten Mal Blut.
„Das ist die Hölle!“, hallen die Worte eines wahnsinnig gewordenen, sterbenden Soldaten über das Leichenfeld, auf dem sie sich befindet. Die Situation könnte nicht treffender umschrieben sein.
Credo öffnet die Augen, als er von einem Anzugträger angesprochen wird. Offenbar ist er hingefallen. Er kann sich an nichts mehr erinnern. Weder an seinen Namen, noch an das, was vor seinem Fall geschehen ist. Dann erst erkennt er den Rollstuhl und fühlt die Taubheit seiner Beine, als der Mann ihn in das Gefährt hebt. Er befindet sich neben einer Straße. Alles deutet darauf hin, dass er gerade versucht hat, sich das Leben zu nehmen und überfahren zu werden. Aber zum Glück ist er ja gefunden worden.
Michele erwacht in einem Krankenbett. Er ist intubiert und hat allerlei Schläuche am Körper. Auch ihm mangelt es an jeglicher Erinnerung. Dann schiebt sich das Gesicht einer asiatischen Krankenschwester in sein Gesichtsfeld. Sie nennt ihn Mr. Colani, und sie sagt, es wäre ein Wunder, dass er nach so langer Zeit wieder erwacht ist.
Ein Wunder!
Ein Wunder!
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