Paris by night - Aleksandr Stepanowitsch Glebov
12.11.2012
Sigmundsson
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Hab ich euch eigentlich schon mal erzählt, wie ich in die Dienste der Familija kam? Nein? Dann werde ich das jetzt nachholen.

Prolog, Eintrag 1, Wie ich zur Familija fand
Nachdem ich aus der Lagerhaft entlassen war, war ich ein gebrochener Mann: Kein Geld, kein Job, gesundheitlich ein Wrack, und zu allem Überfluss, hatte mich meine Verlobte sitzen gelassen, nachdem man mich zu 5 Jahren Arbeitslager wegen Hochverrats verurteilt hatte. Auf meine Familie konnte ich nicht zählen, denn Vater war das Jahr zuvor verstorben und ohne seine Offizierspension fehlte meiner Mutter das Geld, um uns beide zu versorgen. Ihre Rente war so mickrig, dass sie gerade für sie selbst reichte. Meine Geschwister, mein älterer Bruder Jegor und meine jüngere Schwester Irina schieden ebenfalls aus: Igor war bei den Spetznas und daher zum einen oft unterwegs, zum anderen war sein Sold nicht besonders üppig. Mein Schwester hingegen, hatte jeglichen Kontakt zur Familie abgebrochen und war in eine westeuropäische Großstadt gezogen, nachdem Vater sie dazu zwingen wollte, einen Offizier seiner Abteilung zu heiraten. Zu Vaters Beerdigung war sie nicht gekommen, sosehr hasste sie ihn noch immer, und ob eine Versöhnung möglich war, war mehr als fraglich.
Bei meinen Verwandten konnte ich also nicht wohnen, also mietete ich von den mickrigen Ersparnissen, die ich besaß, eine schäbige und vollkommen heruntergekommene Altbauwohnung in Leningrad, dass jetzt wieder St. Petersburg hieß. Sie befand sich in der Nähe der Metrostation Majakowskaja, immerhin ein Vorteil dieser Bude. Damals war das ganze Viertel voller solcher Bruchbuden, die trotzdem dafür, dass sie nicht mal über eine Zentralheizung verfügten, sondern nur über einen gusseisernen Kohleofen, und sich das Klo für die ganze Etage auf dem Gang befand, von den Vermietern zu astronomischen Preisen vermietet wurden. Nachdem ich mir ein Dach, wenn auch ein löchriges; das Dach war genauso unrenoviert wie der ganze Rest des Hauses, besorgt hatte,  musste ich zusehen, schnell wieder Arbeit zu finden. Und damit fing das Problem an. Meine alte „Firma“, den KGB, gab es nicht mehr, und selbst wenn, nachdem ich unehrenhaft entlassen worden war, konnte ich wohl kaum hoffen, dass der FSB, der Nachfolger der Staatssicherheit, mich mit offenen Armen empfangen würde. Damals herrschte Chaos im noch jungen Russland, Folgen des Zerfalls der Sowjetunion. Um in den Staatsapparat zu kommen waren Korruption und Beziehungen vonnöten, und da ich weder über genug Geld noch über einflussreiche Fürsprecher verfügte, blieb mir nur die Möglichkeit das Arbeitsamt aufzusuchen und so wie tausende andere auf eine Stelle zu hoffen. Doch da ich schnell Geld brauchte, und Ämter nunmal langsam sind, hakte ich auch diese Lösung gedanklich ab. Irgendwann, zwischen zwei Flaschen Wodka, kam mir der rettende Gedanke: Ich hatte im Lager einige Leute kennengelernt, die mir damals angeboten hatten, bei der „Firma“ eines gewissen Lebedew einzusteigen. Als ich sie damals fragte, was das für eine Firma sei, von der sie da sprachen und warum gerade ich so geeignet sein, dort zu arbeiten, da meinte der Anführer dieser Gruppe, ein kahlrasierter Hüne mit Boxervisage, lapidar, dass die Firma damit ihr Geld mache, was eben Geld bringen würde. Auf meine Frage hin, was mich von jedem anderen x-beliebigen Häftling in Lager Nr.4 unterscheide, sagte er, dass es nicht oft vorkomme, dass ein Offizier der Staatssicherheit zu Lagerhaft verurteilt werde. Und als ich ihm dies irritiert bejahte, meinte er grinsend, dass „die da oben“ mich wohl richtig hassen müssten, wenn sie einen ihrer eigenen Leute nach Sibirien schicken. Auch das bejahte ich, nun noch mehr irritiert. Er sah meinen Gesichtsausdruck und fügte erklärend hinzu, dass, wenn die Bonzen mich so hassten, dies bedeute, dass ich es wohl faustdick hinter den Ohren haben müsse. Somit sei ich wie geschaffen, in Lebedews Firma zu arbeiten. Und außerdem sei ich „ein cleveres Kerlchen“. Dies musste wohl als Erklärung genügen, denn nun sah er mich herausfordernd an, darauf wartend, dass ich anbiss. Ich tat ihm den Gefallen, und sagte, dass es mir eine Freude wäre, diesen Lebedew kennenzulernen und mit ihm über einen Job zu sprechen. Doch leider hätte ich seine Adresse nicht und wüsste auch nicht wann der Genosse anzusprechen wäre. Ich fragte ihn ob er mir da weiterhelfen könne. Das wiederum fand der Hüne wohl sehr witzig, denn er lachte lauthals und erklärte dann amüsiert, dass ich ihn nicht werde finden können. Vielmehr würde Lebedew mich finden, wenn er mit etwas zu sagen hätte. Für den Anfang jedoch würde es ausreichen, wenn ich mich bei einem Mann namens Radu Mohammedov, Er sei der persönliche Assistent von Lebedew und könne mir alles weitere erzählen. Dann nannte er mir noch die Adresse, unter der ich Mohammedov finden könne.
Wie ich so dasaß, auf dem ausgesessenen Sofa, zwischen Wodkaflaschen  und Machorkaresten, kam mir Mohammedovs Adresse in den Sinn. Ich war mir nicht so sicher was es war, in das ich da hineinstolpern sollte, aber in meiner gegenwärtigen Lage konnte ich nicht wählerisch sein. Auch wenn das Unternehmen dieses Lebedew mit Sicherheit illegal war.
Am nächsten Morgen, oder besser Mittag, schließlich war ich von der gestrigen Zecherei immer noch benebelt, nahm ich die nächste Metro die raus in die Vorstädte fahren würde. Dort angekommen, ich befand mich in einem aus völlig vergammelten Plattenbauten bestehenden Viertel, ging ich zur Adresse, die in meinem gestrigen Wodkagelage in meinem Hirn erschienen war, nachdem diese Information bisher ein unbedeutendes Schattendasein in der hintersten Ecke meines Gehirnspeichers gefristet hatte. Die Adresse stellte sich, anders als ich annahm nicht als Wohnungsadresse, sondern als eine versiffte Hinterhofspelunke der übelsten Sorte heraus. Ich beschloss, es dennoch zu versuchen und betrat die Kneipe, die auf den liebevollen Namen „Schluckspecht“ hörte. Drinnen saßen ein paar verwahrloste Gestalten in Jogginghosen und Unterhemden an kleinen Plastiktischen und soffen; vermutlich selbstgebrannten, Wodka, während eine dichte Dunstglocke aus Zigarettenqualm dicht im Raum hing. Am Tresen stand ein feister Fünfzigjähriger mit Halbglatze und Doppelkinn, der damit beschäftigt war, Gläser zu putzen. Er fragte mich mürrisch was ich wolle, und als ich ihm sagte, dass ich hier sei um einen Herrn Mohammedov zu sprechen, fing er plötzlich an ängstlich zu flüstern, während langsam die Farbe aus seinem vorher hochroten Gesicht wich. Mit nervösem Gesichtsausdruck deutete er auf eine Treppe, die sich neben dem Tresen befand und hinab führte. Mit einem Kopfnicken ging ich an ihm vorbei und die Stufen der Treppe hinab, nun selbst nervös, während mein Bulleninstinkt Alarm schlug. Ich sollte mich nicht täuschen. In diesem kleinen, ehemaligen Kellerraum waren ebenfalls Plastiktische und –stühle aufgebaut. An jedem der Tische saßen finstere Gestalten, denen man schon von weitem ansah, dass sie ihr Geld sicher nicht mit ehrlicher Arbeit verdienten. Die meisten von ihnen waren ebenfalls mit dem Trinken von Wodka oder Bier beschäftigt oder widmeten sich dem Kartenspiel, welches sie lautstark und derb kommentierten. Glücklicherweise schienen sie sich für meine Anwesenheit nicht weiter zu interessieren und so schritt ich an den Tischen vorbei, suchend und mich selbst fragend, wer von ihnen Mohammedov sein könnte. Schließlich fiel mir eine lange Tafel am hinteren Ende des Raums auf, an dem mehrere Personen in schwarzen Anzügen saßen und sich unterhielten. Der Tisch war strategisch geschickt platziert: Weit genug vom Eingang weg und durch die anderen Tische verdeckt, um nicht sofort aufzufallen, aber trotzdem so, dass man dort den ganzen Raum überblicken konnte. Bemerkenswert war, dass immer wenn der Mann am Kopf der Tafel redete, seine Gesprächspartner mit gesenkten Köpfen demütig lauschten. Ich ging also zu dieser Tafel, stellte mich vor diesen Mann und fragte ihn höflich, ob er Radu Mohammedov sei. Zuerst geschah gar nichts, dann allmählich richteten sich die Blicke der Leute an der Tafel auf mich. Sie musterten mich mit bedrohlichen Blicken, und einer von ihnen knurrte, wer das denn wissen wolle. Noch bevor ich antworten konnte, hob der Mann am Kopf der Tafel beschwichtigend die Hand . Nun erkannte ich ihn erst richtig: Er war ein etwa 30-jähriger Tartare mit spitzem Kinnbart und dunklen Haaren, die, und das war ungewöhnlich für einen Angehörigen der ehrenwerten Gesellschaft, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Er trug wie die anderen einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd, dessen oberste Knöpfe offen waren und den Blick auf ein Goldkettchen samt Brustbehaarung freigaben. Er stellte sich überflüssigerweise noch einmal vor, und fragte mich nach meinem Namen und meinem Anliegen. Nachdem er sich meine Gesichte angehört hatte, lächelte er vielsagend und meinte, dass man ihn schon informiert habe, meine Ankunft zu erwarten. Er sagte, ich habe bereits den ersten Eignungstest bestanden, indem ich im Lager Kontakt zu einem Fürsprecher aufgenommen und anschließend hierhergefunden habe. Allerdings bräuchte ich, um ein „Dieb im Gesetz“ werden zu können, noch einen weiteren Fürsprecher. Er sei bereit mein Fürsprecher zu werden, allerdings gebe es seine Unterstützung nicht umsonst. Dabei setzte er eine Unschuldsmiene auf und wartete meine Reaktion ab. Da ich nicht weiter reagierte, fuhr er fort. Ich müsse ihm beweisen, dass ich „die Eier dazu“ habe, ein echter Dieb zu werden. Bevor ich dazu ansetzen konnte, ihn zu fragen, wie er sich das genau vorstelle, griff er in die Innentasche seines Jacketts und holte zwei Gegenstände hervor: Zum einen eine schallgedämpfte Pistole, keine billige Makarov wie wir Bullen sie haben, neinnein, sondern eine Glock! Unfassbar, dachte ich mir, mittlerweile sind die Ganoven besser ausgerüstet als die Regierung. Nicht mehr lange und sie knacken unsere Geheimcodes mit ihren Heim-PCs. Das zweite was er aus seinem Jackett zutage gefördert hatte, war ein Zettel. Und ich ahnte schon was gleich kommen würde. Wie sich zeigte lag ich richtig. Der Zettel enthielt Namen und Anschrift eines Mannes. Nachdem ich beide Gegenstände an mich genommen hatte, meinte Mohammedov, der Kerl sein ein mieses „Verräterschwein“ und es wäre an der Zeit, dass ihm mal jemand „das Licht ausbläst“. Dieser jemand sei natürlich ich. Wenn ich diese „Kleinigkeit“ für ihn erledigen würde, sei er bereit mein Fürsprecher zu werden. Hatte ich vielleicht vorher noch eine kleine Chance gehabt, einen Rückzieher zu machen, gab es nun kein Zurück mehr. Der Pakt war quasi besiegelt und auch eine Selbstanzeige bei der nächsten Wache würde mich nicht mehr retten. Diesen Gedanken im Kopf, erklärte ich mich bereit, zu tun was er verlangte, murmelte einen Abschiedsgruß und ging mit weichen Knien wieder zurück Richtung Metrostation.
Auf Zielscheiben zu feuern ist eine Sache, einen Menschen zu erschießen eine gänzlich andere. Während meiner gesamten Zeit bei der Staatssicherheit, hatte ich das Glück, niemals meine Dienstwaffe im Einsatz gebrauchen zu müssen. Nun aber würde ich tatsächlich jemanden umbringen müssen. Nicht das ich ein moralisches Problem mit dem Töten anderer Menschen hätte, ich war nicht religiös und die Indoktrinierung von Amts wegen tat ihr übriges. Nein, was mir zu schaffen machte, war die natürliche Hemmschwelle, die einen normalerweise daran hindert derartiges zu tun. Vor allem wenn nicht genügend Adrenalin im Körper war, war die Hemmschwelle unüberwindbar. Auch befürchtete ich, dass ich hinterher von Schuldgefühlen geplagt werden würde. Schuldgefühle und Hemmschwelle. Meine beiden größten Feinde, wenn ich dies wirklich tun wollte. Die Deutschen haben ihren Soldaten während des Krieges LSD verabreicht, um sie leistungsfähiger und konzentrierter zu machen. Die Medikation sollte außerdem die Hemmschwelle zu töten senken. Eine mögliche Lösung meines Problems. Doch erstens lehnte ich den Konsum von Drogen ab, wusste ich doch um ihre gesundheitsschädigende Wirkung. Zweitens war ich immer noch bis auf die Knochen blank und hätte solche Drogen gar nicht bezahlen können. Also entschied ich mich in der Apotheke eine herkömmliches Tonikum zu besorgen und dieses mit ordentlich Kaffee runterzuspülen. Die Wirkung war, abgesehen davon, dass ich nun noch nervöser und aufgedrehter als zuvor war, ernüchternd. Also ging ich am nächsten Tag ohne solche Vorbereitungen los, um meinen Auftrag zu erfüllen. Ich fuhr mit der Metro bis zur Endhaltestelle Kuptschino und lief an den Plattenbauten der Vorstadtsiedlung vorbei, bis ich an der abbruchreifen Mietskaserne angekommen war, die dem Zettel nach zu urteilen mein Ziel war. Ein Bauzaun stand um das Gebäude und die Fensterscheiben waren eingeschlagen und die Wände mit Graffiti beschmiert. Eine am Bauzaun befestigte Plakette kündigte den baldigen Abriss an. Wie zum Hohn hatte jemand daneben ein großes Loch in den Bauzaun geschnitten, durch das ich hindurch schlüpfte. Da das Gebäude verlassen war und außerdem etwas abseits der anderen Wohnblocks stand, war es ideal um sich dort zu verstecken. Ich ging durch den Eingang, die Tür war nicht mehr vorhanden, und befand mich nun im Treppenhaus. Ich überlegte kurz, wo ich mit der Suche anfangen sollte, und ging dann vorsichtig und sehr darauf bedacht möglichst wenig Geräusche zu machen um das Ziel nicht zu warnen, nach oben. Aus meiner Erfahrung als Bulle wusste ich, dass Menschen, die sich irgendwo verschanzen, dies meistens eher im Ober- als im Untergeschoss tun, was ja auch logisch war: Im ersten Stock kannst du notfalls aus dem Fenster springen, wenns ernst wird, im Keller hingegen hast du keine Fluchtmöglichkeit. Keller sind Fallgruben. Im ersten Stock angekommen, blickte ich in die zwei Wohnungsflure, die zu den Wohnungen rechter- und linkerhand der Treppe gehörten. Wie auch schon am Eingang, fehlten auch hier die Türen. Vandalismus und Plünderung gehen meist Hand in Hand. So auch hier: Die Wände waren mit Graffiti beschmiert, ein beißender Geruch nach Urin lag in der Luft, zertrümmerte Möbel aus der Sowjetzeit, Glasscherben am Boden. Die Sachen von Wert waren bereits von Plünderern mitgenommen worden. Ich lauschte angestrengt, ob ich irgendwelche Geräusche ausmachen konnte. Doch weit und breit war nichts, was einen Verdacht geweckt hätte. Ein Blick aus dem eingeschlagenen Fenster im Treppenhaus verreit mir, dass es bald dunkel wurde. Ich musste mich beeilen. Wenn es dunkel wurde, bevor ich meinen Auftrag erfüllt haben würde, würde es ungleich schwieriger werden ihn hier zu finden, da die Beleuchtung des Gebäudes mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr intakt war, und es daher nach Einbruch der Dunkelheit hier drin stockfinster werden würde. Zudem hatte ich nicht daran gedacht eine Taschenlampe mitzunehmen und selbst wenn, wäre ihre Benutzung kontraproduktiv, da ich dann den „Verräter“ auch gleich darum bitten könnte aus seinem Versteck zu kommen, um sich von mir erschießen zu lassen. Außerdem zogen solchen leeren Häuser allerlei Gesocks an, von Obdachlosen und illegalen Immigranten bis hin zu Junkies, die sich in solchen Löchern ihren Schuss setzten. Also entschied ich mich, das Tempo der Suche zu erhöhen und nun Stockwerk für Stockwerk zu durchkämmen. Gerade als ich die ersten Treppenstufen in Richtung zweitem Stockwerk genommen hatte, hörte ich mehrere Schüsse und Kugeln pfiffen knapp an mir vorbei und schlugen im Türrahmen der rechten Wohnungstür ein, sodass Holz splitterte. Ich verlor keine weitere Sekunde und sprang in den Flur der rechten Wohnung, rollte mich auf dem Boden ab und ging im Badezimmer, welches der erste Raum rechterhand war, wenn man die Wohnung betrat, in Deckung. Vorsichtig spähte ich um die Ecke, um den Schützen auszumachen und sah gerade noch wie eine mittelgroße Gestalt in der gegenüberliegenden linken Wohnung in eines der Zimmer huschte. Ich zog meine Waffe und feuerte einige Salven in Richtung des Zimmers, in dem ich die Gestalt vermutete. Unterdrückungsfeuer, wie aus dem Taktik-Lehrbuch. Doch leider war mein Munitionsvorrat arg begrenzt, weswegen ich mich auf sporadisches Feuer beschränken musste. Geduckt und mit der Waffe im Anschlag, lief ich nun rüber zur linken Wohnung und ging dort in der Küche, die der erste Raum links war, in Deckung. Wieder spähte ich um die Ecke, und sah, dass sich die Gestalt im Raum schräg gegenüber befand, was wohl früher einmal das Wohnzimmer gewesen sein musste, nun aber hoffnungslos vermüllt war, von Plastikmüll bis hin zu demolierten Möbeln. Der Schütze war hinter einem Sofa mit aufgeschlitzter Polsterung in Deckung gegangen. Und damit hatte er im Eifer des Gefechts einen entscheidenden taktischen Fehler begangen. Das Sofa sah nämlich nicht so aus, als ob es längerem Beschuss mit einer Halbautomatik standhalten würde. Seine einzige Möglichkeit hier lebend rauszukommen war, so schnell wie möglich durch das eingeschlagene Panoramafenster etwa drei Schritt hinter ihm, zu springen. Auch er schien das begriffen zu haben, denn nun fing er an wie ein Bekloppter in meine Richtung zu feuern, wenn auch ungezielt. Putz explodierte an den Stellen, an denen die Kugeln einschlugen. Ich presste mich noch flacher als vorher an die Küchenwand und lugte nochmal um die Ecke. Der Typ bewegte sich nun langsam rückwärts auf das Fenster zu, die Waffe im Anschlag. Gerade als er auf das Fensterbrett steigen wollte, schnellte ich vor und feuerte mehrere Salven in seine Richtung. Offensichtlich hatte eine der Kugeln ihn getroffen, denn er sackte auf die Knie und fiel dann vornüber. Geduckt und bereit ein weiteres Mal zu schießen, bewegte ich mich zu ihm. Der größte Fehler in solchen Situationen war es, jegliche Vorsicht fallen zu lassen und die Waffe runterzunehmen. Zu viele Leute wurden bereits von halbtoten, am Boden liegenden Gegnern erschossen, weil sie sich ihrer Sache zu sicher waren. Mit dieser einfachen Erkenntnis aus meiner Dienstzeit im Hinterkopf, kam ich bei der Leiche an. Er steckte in einem schmutzigen Trainingsanzug und lag auf dem Bauch. Unter seinem Bauch hatte sich bereits eine beachtliche Blutlache gebildet. Er hatte kurzes, dunkelblondes Haar und der Griff seiner Waffe, eine halbautomatischen Tokarew, war von seiner rechten Hand umschlossen. Vorsichtig, mit der rechten Hand die Waffe auf ihn gerichtet, löste ich mit meiner Linken seine Pistole aus seinem Griff. Dann entfernte ich das Magazin, leerte die Patronen auf dem Boden aus und warf die Waffe in die hintere Ecke des Raumes. Dann stand ich auf, steckte meine Waffe weg und betrachtete meine Tat: Ich hatte soeben meinen ersten Mord begangen! Schockiert über diesen Umstand verließ ich das Gebäude wieder. Um den Toten würden sich Mohammedovs Leute kümmern, wenn ich ihnen von meinem Erfolg berichtete. Mittlerweile war es draußen dunkel; höchste Zeit zu verschwinden. Ich befürchtete, dass unsere Ballerei die Anwohner dazu veranlasst hätte, die Polizei zu rufen, aber entweder waren sie so etwas gewohnt oder jemand hatte daran etwas gedreht…
Jedenfalls begegnete mir auf meinem Weg zurück zur Metrostation kein einziger Streifenwagen. Nachdem ich den Rest des Abends damit verbracht hatte, mich bis zur Besinnungslosigkeit zu besaufen, um den Mord zu verarbeiten, machte ich mich gegen Mittag des folgenden Tages von daheim auf, um Mohammedov Bericht zu erstatten. Dort angekommen, zeigte er sich mit meiner Arbeit zufrieden und meinte seine Leute würden sich um die Entsorgung der Leiche kümmern. Als ich ihn nun fragte, ob er jetzt mein Fürsprecher werden würde, schob er wortlos eine weitere Liste und ein Päckchen Munition rüber und beobachtete meine Reaktion. Empört wies ich ihn darauf hin, dass ich meinen Teil der Abmachung bereits erfüllt habe, und fragte ihn warum ich weiter für ich töten solle. Er meinte mit einem hämischen Grinsen, und als ob das alles erklären würde, dass ich nunmal ein „Scheiß-Bulle“ sei. Also blieb mir nichts anderes übrig, als bei seinem miesen Spiel mitzumachen. Ich packte die Munition in meine Jackentasche und faltete die Liste auseinander. Auf der Liste waren zwei Adressen angegeben .Wie, als ob er darauf gewartet hätte, legte Mohammedov los, mir meine Ziele zu erklären: Der erste auf der Liste sei ein säumiger Schuldner, der zweite hingegen ein Abgeordneter der für die KP in der Stadtduma sitze und immer wieder und trotz eindringlicher Warnungen der Familija, gegen selbige hetzen würde. Ich solle ihn „abmurksen“ um den anderen „roten Schweinen“ zu zeigen was passiert, wenn man die Geduld der Familija strapaziere. Nun war ich zwar selbst Mitglied der KPdSU gewesen, als die Partei noch existierte, dies aber vor allem, da es sich karrierefördernd auswirkte. Offiziere die in der Partei waren, wurden schließlich schneller befördert. Aber erstens handelte es sich um die Nachfolgerin der KPdSU und zweites war dies wohl für Mohammedov kein hinreichender Grund eine Ablehnung zu akzeptieren. Mal ganz davon abgesehen, dass es besser wäre, wenn er nicht erführe, dass ich auch mal einer der „Roten“ war.  Schließlich würde er wohl sicher jemand anderes schicken, wenn ich ablehnte. Also versicherte ich dem Tartaren zähneknirschend, dass ich mich darum kümmern würde und machte mich auf den Weg.
Noch in derselben Nacht machte ich mich auf, um den Schuldner zu töten. Er wohnte in einem heruntergekommenen Altbau ganz ähnlich meiner Behausung. Ich klingelte bei ihm und wartete, bis er öffnete. Dann erschoss ich ihn, ohne eine weiteres Wort zu sagen und mit dem Überraschungsmoment auf meiner Seite. Die Kugel traf ihn direkt ins Gesicht und sein Blut versaute mir mein Jackett. Da ich im Nebenzimmer das Weinen eines Babys hörte und kurz darauf die Stimme einer jungen Frau, die beruhigend auf das Kind einredete, beschloss ich, schnell von hier zu verschwinden. Den Toten im Pyjama bugsierte ich mit Fußtritten hinter die Schwelle der Tür, da er vornübergekippt war und deshalb in den Flur ragte. Dann schloss ich vorsichtig die Tür und machte mich auf den Heimweg. Mein zweiter Mord war so locker von der Hand gegangen und meine Bedenken, wie ich sie noch bei meinem ersten Auftrag hatte, wie weggewischt. Doch nicht nur das, langsam stellte ich fest, halb schockiert halb erfreut, dass mein sportlicher Ehrgeiz geweckt war: Für den Kommunisten hatte ich mir deshalb etwas besonderes ausgedacht. Am nächsten Tag machte ich mich darüber kundig, wann der Politiker seine nächste Kundgebung abhalten würde. Als es soweit war, wartete ich bis er die Tribüne betrat und zu einer seiner moralinsauren Predigten anhob. Dann zog ich meine Waffe, zersiebte ihn mit sechs Schüssen in den Oberkörper und nutzte die nun entstandene Panik der Teilnehmer, um unerkannt vom Pobedy-Park, wo die Kundgebung stattgefunden hatte, zu verschwinden. Als sehr vorteilhaft erwies sich dabei die Sturmhaube, die ich mir Tags zuvor beschafft hatte. Am nächsten Tag stand das „Massaker vom Pobedy-Park“, wie die Presse den Vorfall nannte, in allen Zeitungen und Mohammedov war sehr zufrieden mit mir und meinte, das wäre eine beachtliche Leistung für ein „Bullenschwein“. Er erklärte sich bereit mein Fürsprecher zu werden, und zeigte mir, nachdem ich ihm seine Glock zurückgegeben hatte, ein neues Exemplar der Waffe, allerdings eines ohne Schalldämpfer. Dies wäre jetzt meine eigene, meinte er; ich würde sie bekommen, sobald die Paten der Stadt meinem Aufnahmeantrag in die Familija stattgegeben hätten. Ich solle in zwei Tagen zu ihm zurückkehren, dann könne er mir sagen, wann über meinen Antrag abgestimmt werde. Gesagt, getan. Zwei Tage später war ich wieder im „Schluckspecht“ und Mohammedov ließ mir die Augen verbinden und mich in einen Wagen schaffen. Dann fuhren wir zum geheimen Treffpunkt. Dort angekommen, löste er meine Augenbinde wieder und ich fand mich in einem schäbigen, abgedunkelten Raum wieder , der nur von zwei Scheinwerfern erleuchtet wurde, die sich schräg hinter der Tafel befanden, an der, einem Tribunal gleich, die Oberhäupter aller Petersburger ehrenwerten Familien saßen. Die Lichtkegel waren so eingestellt, dass sie den Stuhl, der sich in der Mitte des Raumes befand, wie bei einem Verhör beleuchteten. Auf eine kurze Handbewegung, eines vornehm gekleideten älteren Herren mit Halbglatze, hin, begannen die Paten mich nach verschiedenen Dingen zu fragen: Meine Eltern, meine bisherige Laufbahn, meine Motivation die Familija zu unterstützen (meine Antwort, ich bräuchte schnell viel Geld, amüsierte sie) und noch einiges mehr waren Gegenstand ihrer Befragung. Nachdem ich offenbar alle ihre Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet hatte, machte der Mann mit der Halbglatze, der einen Sitz in der Mitte der Tafel hatte, eine erneute Handbewegung und Mohammedov trat vor. Nun war er an der Reihe von ihnen ausgefragt zu werden. Sie fragten nach meiner Eignung und wie ich mich bei der Erfüllung der „Gefälligkeiten“ angestellt habe. Er hob meine besondere Sorgfalt und die außerordentliche Begabung , die ich bei der Erfüllung der Aufträge an den Tag gelegt hätte, hervor und unterstrich meine Eignung Teil der Familija zu werden. Nachdem er geendet hatte, herrschte kurzes Schweigen. Dann meldete sich der Mann in der Mitte zu Wort. Er sprach mir ruhiger, souveräner Stimme und fragte Mohammedov, wie er an Stelle der Paten entscheiden würde. Dieser druckste zuerst herum und meinte dann, er würde mich aufnehmen, wenn er an der Stelle der Paten wäre. Daraufhin trat wieder Stille ein. Dann erhoben sich die Paten von ihren Plätzen und zogen sich zu einer kurzen Beratung zurück und kamen kurz darauf zurück, um ihr Ergebnis zu verkünden. Der Mann in der Mitte richtete nun wieder das Wort an mich und meinte, er hätte eine Aufgabe, die meinen Fähigkeiten angemessener ist, als das Hantieren mit Pistolen. Er sei schon länger auf der Suche nach einem kompetenten Rechtsanwalt und angesichts meiner juristischen Ausbildung und des Umstands, dass ich „sehr clever“ sei, wäre er über eine Zusammenarbeit erfreut. Das stimmte: Im Rahmen meiner Ausbildung beim KGB wurde ich schließlich auch im Recht unterwiesen und da dies aussichtsreicher war, als eine Kanzlei zu gründen, willigte ich ein. Als er meine Antwort zur Kenntnis genommen hatte, nickte er zufrieden  und machte eine kurze Handbewegung in Richtung seiner Leute, die auf Bänken hinter mir saßen. Daraufhin erhoben sich zwei von ihnen und kamen auf mich zu. Einer der beiden hatte eine Tätowiermaschine in den Händen. Er wies mich an meinen Oberkörper frei zu machen und nachdem ich das getan hatte, packte der zweite mich an den Schultern, während der erste mit der Tätowiermaschine ans Werk ging. Zuerst tätowierte er meine Brust, dann die Fingerknöchel und zuletzt die Schultern. Die Paten beobachteten das Ganze erwartungsvoll und als die Prozedur beendet war, wurde ich herzlich willkommen in den Reihen der Familija Lebedewa geheißen. Die Tätowierungen waren zum einen das Zeichen des KGB auf der Brust, verschiedene „Glückssymbole“ (Die Familija ist abergläubisch) wie Pik, Kreuz etc. auf meinen Fingerknöcheln, und zuguterletzt zwei  Windrosen, eine links und eine auf der rechten Schulter. Die Tätowierungen sollten, wie ich erfuhr, meinen Status innerhalb der Familija und meine Lebensgeschichte jedem deutlich machen. Die Sterne an den Schultern beispielsweise zeigten nun jedem, dass ich Mitglied der „Diebe im Gesetz“ war. Sollte ich zu Beförderung zum Kapitan, also einer Führungsperson, anstehen, würde ich das Zeichen des Kapitan, zwei Sterne an den Knien, ähnlich denen an meinen Schultern, erhalten. Tja, die Sterne hab ich mir tatsächlich noch verdien, aber das ist eine andere Geschichte. Nun wisst ihr wie ich zur Familija fand.      
12.11.2012 20:39
Finally gettin' to know Alex then...
12.11.2012 23:48
Finally...
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