Paris by night - Jam
16.11.2012
Momper
Kommentare: 5
Er springt nochmal zum Anfang des MP3 und lehnt sich zurück in eine Haltung, die Entspannung sehr nahe kommt. Die Kopfhörer schließen alle anderen Geräusche aus, und so sehr es ihm auch widerstrebt, nicht wachsam zu sein, zwingt er sich zu diesem einen kleinen Moment der Ruhe. Er muss den anderen vertrauen. Und das ist ein seltsames Konzept. Pierre ist hier. Mit Pierre ist er durch dick und dünn gegangen, und das macht den blassen Mann zu einem Bruder.
Pierre ist ein Lasombra. Schattenformer. Lieblingskinder der Hölle. Wage Beschreibungen über seine Aktivitäten der letzten zwei Jahre. Sie sind alle weggegangen. Kein Kontakt. Sabrine. Rochlan. Burn. Michelle. Grundgütiger! Michelle.
Die anderen. Die Jungen. Kriegskinder.
Burger. Grundsolide Einstellung. Aber das Zornproblem.
Alex. Hart und verdorben. War er das vorher schon? Hat der Sabbat das aus ihm gemacht? Er hätte Dich verachtet und Du ihn, wenn Ihr Euch früher begegnet wärt. Verachtet Ihr Euch jetzt nicht?
Alice. Das Sorgenkind. Etwas muss passieren. Du musst das hinkriegen.
Ash. Sie ist Dir am nächsten. Du hast in das Labyrinth ihrer Seele geblickt. Wenigstens hat sie noch eine.

Unvermittelt startet das Bootleg. Irgendwo in einer der vorderen Reihen hat Tanya die Aufnahme gestartet. Es war Herbst 2001, und sie war stolz auf ihren neuen MD-Recorder.
„...wollt, dass wir für heute Schluss machen?“ Die Stimme von Linda hallt durch den Saal. Sie klingt, als wäre sie knackige 20 und nicht kurz vor 50. Das Publikum antwortet mit einem Aufschrei. Sie hat sie voll im Griff. Er kann sich noch erinnern, wie er hinter der Bühne gestanden hat, die eine Zigarette zwischen Zeigefinger und Daumen. Immer eine Zigarette pro Auftritt. Talik stand neben ihm und machte kleine Sprünge wie ein Boxer, der sich warm macht. „Ich kann Euch nicht hören!“, sagt Linda, und die Leute geben sich noch mehr Mühe. „Na schön.“, lässt sich Linda dann doch erweichen, „Ihr habt Glück, weil ich Euch noch was Leckeres anbieten kann heute Abend im Black Pearl. Hier ist der Spezialist für messerscharfe Cuts und knackige Samples. GEHT AB FÜR DJ TALIK!“ Der Ton clippt, als ihre Stimme sich überschlägt. Die Leute brüllen, aber Linda übertönt sie gnadenlos. „AND HE'S MARMELADE. BUT WHO'S JAAAAAAAAAAM?“ Die letzten Worte brüllen die Leute mit, weil Linda ihn jedes mal so ankündigt.
Talik beginnt an diesem Abend mit einem Sample von einer alten Tribe-Platte. Dann kommen die hämmernden Beats, das treibende Instrumental (das Talik „Kinky Loop“ genannt hat), und dann setzt Jam ein.

They say a record ain't nothing if it's not touching
Gripping, draw you in closer make you wanna listen to it
And if you real ill at making music
Then lesson'll feel like you livin' through it
That's how my nigga do it


Vor dem geistigen Auge sieht er die Schemen der Leute. Man ist auf der Bühne immer viel zu geblendet, um Details zu erkennen. Ein Schulterblick zu Talik zeigt, dass er im Flow ist.
Ungefähr 13 Monate später wird Talik einen Selbstmordversuch unternehmen. Und Michelle wird im Publikum gewesen sein. Und nur wenige Tage danach wird sie Jam umbringen.
Ich habe Dir meinen Alptraum gezeigt. Jetzt zeige mir Deinen.

***

Die Tür zum Büro des Abteilungsleiters fliegt auf, als er wütend hinein stürmt. Noch ehe der Mann irgendwas sagen kann, legt er auch schon los.
„Was zur Hölle soll das? Wollen Sie mich verarschen, Leister?“
Leister steht auf, geht an ihm vorbei und schließt ebenso geräuschvoll die Tür. Das muss er tun, wenn er in diesem Statusspiel die Oberhand behalten will.
„Interessant, dass Sie das fragen, nachdem Sie hier so filmreif das gesamte Department unterhalten. Darf ich fragen, was Ihr Problem ist?“
Leister bleibt cool, und das regt ihn noch mehr auf.
„Was mein Problem ist?“ Er verschränkt die Arme. „Sie wissen ganz genau, was mein Problem ist.“
„Erklären Sie es mir trotzdem, Officer.“ Leister setzt sich wieder an seinen Schreibtisch und überschlägt lässig ein Bein. Dann deutet er auf den Stuhl gegenüber. „Setzen Sie sich.“
Er bleibt stehen. „Ich reiße mir den Arsch auf. Ich habe meine Ergebnisse mit denen der anderen Bewerber verglichen. Ich habe in jedem Test die besten Ergebnisse erzielt. Ich habe mich wirklich reingekniet, um den Posten zu kriegen, und jetzt schicken Sie Mahoney?“
„Mahoney ist ein ausgezeichneter Officer.“
„Aber ich bin besser.“
„Mahoney ist ein ausgezeichneter Officer.“, widerholt Leister mit Nachdruck.
Ihm fehlen für einen Augenblick die Worte. Er setzt sich auf den angebotenen Stuhl und legt den Kopf in den Nacken. Das beruhigt ihn ein bisschen. Dann blickt er den älteren Mann wieder an.
„Captain Leister, Sir, bitte. Ich will diesen Job unbedingt haben.“
Leister holt eine Akte aus seinem Schreibtisch und blättert darin. „Ich weiß.“, sagt der Captain, „Und ich weiß auch wieso.“ Darauf weiß er nichts zu sagen. Also redet Leister weiter. „Sehen Sie, Officer, das hier ist Ihre Akte.“ Er blättert ein wenig darin. „Bewerbung zur Grundausbildung. Fortbildungsbescheinigung. Waffenschein. Ermüdend viele sportliche Atteste, die bestätigen, dass Sie in Topform sind. Psychologische Profile. Sie sind auf Herz und Nieren geprüft worden und haben bestanden. Und deshalb sind Sie ein Officer des Secret Service. Und Sie sind einer der jüngsten. Beeindruckende Karriere bisher. Ich verstehe, warum Sie so viel von sich selbst halten.“
„Und warum geben Sie mir dann nicht den Job?“
Leister legt die Akte beiseite, nimmt aber vorher noch ein Foto daraus hervor und legt es vor den jüngeren Mann. „Weil ich jemanden brauche, der sich im Außenbüro in Paris auf seine Aufgabe konzentriert. Nicht auf eine persönliche Suche. Officer Warner, ich weiß, was Sie antreibt.“
Jaleel betrachtet das Bild seines Bruders eine Weile schweigend. Er hat es tausendmal gesehen. Es hängt seit Jahren im Wohnzimmer im Haus seiner Eltern wie ein Stück alte Tapete, das sich niemand zu überdecken wagt.
17.11.2012 13:08
Sehr cool!
18.11.2012 00:33
Cool! An Jaleel hab ich ewig nicht mehr gedacht... Wie hieß deine kleine Schwester?
18.11.2012 01:09
Es gab 2. Maya und Tanesha.
20.11.2012 19:55
Ah... Es ist großartig. Als ich es gelesen habe sind mir Erinnerungen aus 10 jahren(?) Paris gekommen... Bitte weiter...
20.11.2012 19:55
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