Wow, in einem hat Hollywood wohl doch Recht: Tagebücher sind unglaublich verlockend, wenn es um flammende und emotional fürchterlich dramatische Worte geht. Ist ja eigentlich gar nicht so meine Art…
Na gut, dann wird das hier der Ausgleich zu meinem ersten Eintrag. Trockene Schilderungen.
Mein Name ist Molly, zumindest wenn man Ashley fragt. Oder Alice, aber das kommt – wie immer bei Alice – auf ihre Tagesstimmung und geistige Verfassung an. Aber eigentlich heiße ich so nicht mehr. Seitdem ich mein altes Leben abgelegt habe, nennen mich die meisten Burger. Ich mochte den Namen am Anfang echt nicht, aber er ist das einzige – zusammen mit dem Blut, das mir Kraft und den Jähzorn des Tieres geschenkt hat –, was mir noch von Poppy und den anderen geblieben ist. Ich mein, nicht, dass ich sie wirklich gut gekannt hätte…Aber ohne Poppy wäre ich vermutlich nicht hier und würde den Weltuntergang live miterleben. Und seitdem die Sabbatschweine ihn und die anderen vernichtet haben, fühle ich mich anders. Obwohl mein Körper gänzlich tot ist, fühlt es sich an, als wäre da noch irgendwas abgestorben oder vielleicht besser, verschwunden. So muss sich wohl ein Waisenkind fühlen – irgendwie ohne Hilfe, ohne die Ratschläge, die man von seinen Eltern bekommen hätte. Da fehlt einfach was.
Aber auch hier bin ich nicht allein – Ashley und Alex geht es nicht anders. Alice eigentlich auch irgendwie, aber ihre Erzeugerin unlebt zumindest noch irgendwo in den Tiefen der Camarilla vor sich hin, sie kümmert sich nur nicht um Alice. Ich würd ihren Dachschaden ja gern darauf zurückführen, aber ich befürchte, der war da schon vorher. Zum Glück haben wir Jam und Pierre, sonst würden wir vermutlich alle schon die Leichenmauern des Sabbats zieren. Für die beiden tuts mir nur manchmal leid, ich glaube, so einen großen Haufen von Küken „großzuziehen“ ist nicht gerade das, was man gemeinhin als „Rest in peace“ verstehen würde…
Jedenfalls scheinen wir Haufen zur Zeit das einzige zu sein, was man als Bewegung gegen den Sabbat bezeichnen könnte. Das könnte ich auch total verstehen, wenn wirklich alle anderen Vampire in Paris zu Sabbat gehören würden – aber so ist das ja nichtmal. Eigentlich gibt es, glaube ich, schon einige andere, die die Schweine gerne vernichtet sehen würden, aber die sind offenbar zu feige, tatsächlich irgendwas zu machen und schicken lieber uns frisch erzeugten Chaotenhaufen los, um ihre Questen zu erfüllen, als wären wir ihre gottverdammten Ritter! Ehrlich, wenn die alle einfach mitmachen würden, könnten wir in Null Komma Nichts die Residenz des Erzbischofs einrennen und dem ganzen ein Ende bereiten. Aber wie immer muss sowas ja erstmal diskutiert und beobachtet werden, bevor irgendwas passiert. Wir müssen echt aufpassen, dass die hinterher keine Camarilla 2.0 hier aufziehen wollen. Denn ehrlich gesagt sind die ja auch nicht besser als der Sabbat – mit dem Unterschied, dass die Camarilla sich zumindest die Mühe macht, ein Lächeln aufzusetzen und ein schönes Abendkleid anzuziehen, wenn sie Scheiße bauen gehen.
Was unsere Gruppe angeht sind wir da glaube ich noch leicht zwiegespalten. Alex müssen wir unbedingt im Auge behalten oder er ernennt sich zum Zaren von Paris, wenn wir mal kurz nicht hinschauen. Was Alice will, weiß keiner, im Zweifel würde sie gern überall überdimensionale Pilze mit noch viel überdimensionaleren Raupen drauf züchten. Jam und Pierre….weiß nicht. Sie haben eine bewegte Vergangenheit mit der Camarilla und haben sich von ihr losgesagt. Aber sie wollen sich auch nicht als Anarchen bezeichnen. Ich glaube, so ganz sicher, was sie nach der Befreiung mit Paris machen wollen, sind sie sich noch nicht. Und Ash – sie wird schon das Richtige tun. Sie geht da sehr rational und durchdacht ran, ich denke nicht, dass sie irgendeinen Stuss mit der Stadt verzapfen würde.
Ich bin mir bei der Sache ziemlich sicher – es ist Zeit für ein neues Karthago. Und diesmal wird es nicht brennen, diesmal wird es nach außen hin verteidigt und nach und nach auf die ganze Welt ausgedehnt – das ist in Zeiten der Globalisierung eh nicht zu verhindern.
Irgendwie muss doch ein Zusammenleben möglich sein, ein ausgeglichenes Geben und Nehmen. Wenn Vampire aufhören, Menschen gegen ihren Willen zu überfallen, sondern friedlich mit ihnen zusammen diese Stadt bewohnen würden, dann wäre es in ewiger Ferne ja vielleicht sogar möglich, dass die Menschen von uns erfahren, ohne uns zu fürchten. Wir haben das Mittelalter hinter uns gelassen, die Scheiterhaufen sind aus der Welt verschwunden und stattdessen schreiben die Leute sogar schon Bücher über Vampire. Sie lieben die Idee, dass das noch etwas ist in dieser Welt, was sie nicht kennen, und malen sich doch jetzt schon aus, wie es wäre, wenn es uns gäbe und wenn wir zusammen leben müssten. In keinem der Bücher beginnen die Menschen Krieg gegen uns zu führen. In ihren Geschichten akzeptieren sie uns. Warum sollten sie das nicht auch im wirklichen Leben?
Der Grund, warum ich dieses Tagebuch angefangen habe, ist also so einfach, wie er wichtig ist. Ich will nicht vergessen, wofür ich kämpfe und warum ich dem Tier niemals nachgeben darf. Die Gedanken und Geschehnisse, die ich hier niederschreibe, müssen so essenziell für mich bleiben, wie das Blut, das wir trinken. Das ist mir erst jetzt so wirklich klar geworden.
So sehr ich Poppy zu Dank verpflichtet bin, gibt es wie immer einen Haken. Es ist fast, als würde ich zu jede Zeitpunkt meines Unlebens den Zorn in meinem Blut spüren. Die Gefahr ist immer da, dass ich ihn nicht mehr kontrollieren kann und er ausbricht. Wenn das geschieht, verliere ich all meine Ideale und tue Schreckliche Dinge. Ich greife meine Freunde an, ich zerstöre meine Umgebung…Ich töte.
Wir alle sind leichter zu reizen als Menschen, aber ich bin eine Brujah. Bei mir ist das alles nochmal etwas schlimmer. Die anderen wissen das. Trotzdem kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, die wir aber immer wieder unter Kontrolle bringen konnten – zumindest bis jetzt. Doch es gibt eine unter uns, die den Kern der Sache noch nicht ganz verinnerlicht hat.
Alice.
Es ist fast so, als würde es ihr Freude bereiten, zuzusehen, wie ich mich in eine ausgehungerte, wilde Bestie verwandle. Es ist fast so, als würde es ihrem irren Geist Freude bereiten, wie loslaufen und Unschuldige verletze, töte. Und es fällt mir so unglaublich schwer, sie nicht spüren lassen, was sie mir und all diesen Menschen, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren, angetan hat. Ich lerne nach und nach, wie ich den Zorn und die Bestie im Zaum halten kann – doch ich muss noch lange durchhalten, bis ich es schaffe, diese Wut auf Alice zu kontrollieren, denn er hat einen völlig anderen Ursprung. Ich bin nicht wütend, weil sie mich beleidigt – ich bin wütend, weil sie mit den Leben dieser Menschen spielt als wären sie Charaktere in einem ihrer dummen Bücher, weil sie immer nur dasteht und zuguckt, wie wir unter anderem auch ihren Arsch verteidigen anstatt zu helfen, diesen verdammten Krieg zu beenden. Als hätte sie nichts damit zu tun…
Aber Jam hat Recht. Wir haben uns unsere Gesellschaft nicht ausgesucht, aber wir müssen jetzt damit klarkommen, wenn wir gewinnen wollen. Ich muss mich auf meine Rückendeckung verlassen können, und das kann ich nur, wenn meine Rückendeckung sich auch auf mich verlassen kann. Ich muss aufhören, Alice wegen ihrem Dachschaden keinen Respekt zu zollen.
Als Gegenleistung kann ich nur hoffen, dass sie aufhört, das Tier zu wecken.
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