Walk among the Dead - Shannon
25.05.2014
Mabinogi
Kommentare: 4
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Hey Mum, hey Dad,

Ihr werdet das hier vermutlich niemals lesen. Machen wir uns keine Illusionen, vermutlich seid ihr unter den ersten gewesen, die gebissen wurden und sich verwandelt haben. Ich glaube sogar, ihr habt bis zum Ende nicht an das geglaubt, was da gerade um euch herum passiert, ihr habt dagestanden und euch gegenseitig gekniffen, damit ihr aufwacht, statt wegzulaufen. Das war immer euer Problem, zu glauben. Ihr habt immer nur den Kopf geschüttelt, wenn ich genau solchen Monstern wie denen, die euch vermutlich ermordet haben, in die Köpfe geballert habe. Oder wenn ich euch gesagt habe, dass die Regierung Dreck am Stecken hat, ihr habt es mir einfach nie glauben wollen. Nicht, dass ich es damals geglaubt habe – aber spätestens, als das erste von diesen Dingern Jimmy und seine Mum angreifen wollte, hab ich es dann eben doch geglaubt. Ihr nicht. Und deshalb seid ihr tot und ich nicht. Mum hätte wahrscheinlich geschrien, als ich abgedrückt habe, hätte gefragt „Warum denn, Shannon?“ und dabei hätte sie ihre Augen weit aufgerissen, wie damals, als ich meine ersten Stiefel getragen habe. „Warum denn, Shannon? Es sind 25 Grad draußen!“
Ihr hättet niemals abgedrückt, oder? Dad? Waffen gehören verboten, unsere Jugend denkt schon an nichts anderes mehr. Weißt du, andere Väter wären stolz auf mich, wie ich durchhalte, wie ich schieße. Ich hab ihnen in den Kopf geschossen, als wäre es so leicht – einfach abdrücken und in den Kopf schießen. Dabei war es überhaupt nicht leicht. Das Mädchen wäre in einem anderen Leben vielleicht meine kleine Schwester gewesen, der ich abends Geschichten vorgelesen hätte. Und ich hab sie einfach erschossen, Dad. Du solltest stolz auf mich sein. Ich kann in dieser Welt überleben und du nicht. Du hast vielleicht schon längst eine Kugel in deinem Kopf oder jagst jetzt selber kleine Mädchen. Du würdest wahrscheinlich sogar mich jagen. Und spätestens dann würde ich dir eine Kugel oder ein Messer in den Kopf versenken.

Aber ihr müsst euch keine Sorgen machen. Ich bin nicht allein, die anderen kümmern sich um mich. Ich glaube sogar, sie wollen mich manchmal erziehen, Jimmy zumindest. Immer, wenn ich etwas tue, was Fünfzehnjährige nicht tun sollten, setzt er diesen besorgten Blick auf, als würde ich mich ganz schlecht entwickeln – dabei tue ich genau diegleichen Dinge wie der Rest auch. Überleben, auf die harte Tour. Aber ihr würdet Jimmy mögen. Eigentlich heißt er James van Olden. Wenn all das hier vorbei ist und ihr lebt noch, dann solltet ihr ihm einen Scheck schicken, weil er sich so gut um mich gekümmert hat.
Thranak würdet ihr gar nicht leiden können. Das weiß ich sicher, denn ihr konntet ihn ja noch nie wirklich leiden, immerhin bin ich mit ihm nächtelang Bestien und dunkle Kräfte bekämpfen gewesen und deshalb zum Frühstück nie aufgestanden. Aber er tut mir ein bisschen Leid, er hat nichts von seinem alten Leben außer diesem riesigen Rucksack Gras. Aber deshalb würdet ihr ihn wahrscheinlich noch weniger mögen.
Aber ich glaube, Jessica würde euch gefallen. Ihr Vater war Rockstar, wisst ihr? Sie kann sehr gut singen und vielleicht bringt sie es mir noch ein bisschen bei. Das wolltet ihr doch immer, oder, dass ich singen lerne und vielleicht sogar im Schulchor mitsinge? Seht ihr, in dieser kranken Welt werd‘ ich noch zu genau der Person, die ihr großziehen wolltet, das liebe Chormädchen, das draußen an der frischen Luft spielt anstatt drinnen vor einem Bildschirm die Welt zu retten.

Langsam glaube ich, dass wir sogar überleben könnten. Wir wissen jetzt, wie diese neue Welt funktioniert, was wir tun müssen, um in ihr zu bestehen. Wir haben Nahrung, wir haben Wasser, wir haben sogar so etwas wie eine Mauer. Wir wollen anfangen, Gemüse anzupflanzen und vielleicht sogar Kaninchen zu züchten. Wir könnten hier alt und grau werden, hier in den Bergen. Aber am Ende haben wir alle eine Kugel im Kopf, bis es niemanden mehr gibt, der sie uns verpassen kann.

Ich hoffe, wir sehen uns nie wieder. Ihr würdet das Mädchen nicht mögen, dem ihr zuwinken würdet, ihr würdet es nicht für eure Tochter halten, noch weniger, als früher schon. Ihr würdet traurig versuchen zu lächeln, mir eine Strähne aus dem Gesicht streichen und euch um mich kümmern, aber ihr wärt enttäuscht und hättet vielleicht sogar ein bisschen Angst. Aber das hattet ihr ja ohnehin immer – Angst vor diesen schwarzen Gedanken, vor dem Kajal und vor dieser lauten Musik. Vielleicht ist es aber genau das, was mich in dieser Welt überleben lässt, mich, und nicht euch.
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Aber wenn ihr dieses Buch findet und euch alles durchlest, versteht ihr mich ja vielleicht doch irgendwann. Aber bitte lasst es nicht drucken. Sonst wird es irgendwann noch zur Pflichtlektüre im Englischunterricht.

Shannon
25.05.2014 21:40
Das Tagebuch der Shannon... wie heißt die eigentlich mit Nachnamen?
25.05.2014 21:55
Harper...aber pssssst....
25.05.2014 21:58
Hach... unser kleines, hartes Mädchen ;)
Ich mag das "Aber bitte lasst es nicht drucken."
Mr. D (Gast)
26.05.2014 12:19
Wow... find, dass was du geschrieben hast irgendwie ganz schön berührend ist. Einfach nur Wow..
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