Nolan Trevelyan
12.02.2015
Momper
Kommentare: 2
Der Inquisitor war nicht besonders groß. Aber er war wuchtig und sehr muskulös. Seine Schultern wurden von Eisenplatten verbreitert. Er trug einen schweren Panzer und darüber die weiße geschlitzte Robe und den rotgoldenen Überwurf mit dem aufgestickten Sonnengreifen von Praios. Ein mächtiger dunkler Bart verbreiterte sein Gesicht, während sein Kopf kahl geschoren war. All das hätte schon gereicht, um einen grimmigen Eindruck zu hinterlassen, doch zur Krönung war die linke Gesichtshälfte von Narbengewebe überzogen, das linke Auge war mit einer schwarzen Klappe bedeckt, und ein schwerer silberner Streithammer hing an seiner Seite. Seine Schritte klangen schwer, als er den Zellentrakt entlang ging. Es war das spezifische Geräusch von schweren Stiefeln und Eisengamaschen, die von Kettengliedern zusammengehalten wurden.
Vor der Zelle wartete der wachhabende Lichtverehrer. Der Inquisitor nickte knapp. Das Klack! des Schlüssels hallte im Tunnel des Traktes wider.
Als sich die Tür öffnete, war das Licht der Laterne so hell, dass der Gefangene das Gesicht abwenden musste. Es dauerte einen Augenblick, bis sich seine Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Der Inquisitor trat ein. Und erst als die Tür hinter ihm geschlossen war, stellte er die Laterne ab.
"Kobold.", hauchte Rowan schwach.
Nolan nahm sich einen Augenblick, um seinen Bruder zu betrachten. Rowan war ausgezehrt und dünn. Er trug nur ein Hemd und eine Hose. Seine Kleider waren steif von Dreck und altem Blut. Sein Gesicht war mit einem ungewaschenen, aschblonden Bart bedeckt. Er musste sich bei der Festnahme gewehrt haben, davon erzählten die Schwellungen und Schürfwunden an Gesicht und Händen. Die Ermittlungsbefragungen mussten ihr Übriges getan haben. Wie es die Regeln des Ordens vorsahen, hatte man Lichtträger Trevelyan von der Untersuchung des Falles um seinen leiblichen Bruder ausgeschlossen, und Nolan konnte sich nur vorstellen, wie sie abgelaufen war.
"Du hast nach mir verlangt.", begann Nolan, "Was willst du?"
Rowan streckte die Hände nach vorn, so dass die Ketten rasselten. "Du könntest mich zunächst einmal davon befreien.", sagte er mit einem selbstgefälligen Schmunzeln, als wäre all das nur ein Spiel.
Nolan regte sich nicht. Rowan ließ die Hände wieder sinken und seufzte. "Es war einen Versuch wert."
"Ich wiederhole meine Frage: Was willst du?", fragte Nolan erneut.
Rowan betrachtete seinen kleinen Bruder abschätzend. Dann zuckte er mit den Schultern. "Es ist jetzt auch egal, was ich sage, nehme ich an." Als Nolan nichts erwiderte, fuhr Rowan fort. "Du hast es in der Hand, Bruder. Rette uns. Befreie uns. Lynn und mich."
Nolan legte die Hände auf dem Rücken zusammen und atmete tief ein. "Du bist ein verurteilter Verbecher."
"Ich habe immer aus Liebe gehandelt. Ich habe nie..."
"DU HAST DIE KÖNIGSLINIE DURCHBROCHEN!", herrschte Nolan ihn an. Und schneller als seine schwere Rüstung es ihm erlauben sollte, kniete er vor Rowan und packte dessen Kinn mit der rechten Pranke, so dass sie einander in die Augen sahen. "Du hast das Reich in einen blutigen Erbkrieg geführt.", fuhr er leiser und schneidend fort.
Nolan hatte noch nie Furcht in den Augen seines Bruders gesehen. Aber da war sie nun, deutlich und tief.
"Lynn hat einmal gesagt, die Götter hätten unsere Liebe gemacht.", antwortete Rowan schließlich leise, "Warum sollten sie das tun, wenn nicht, damit wir sie leben? Sage mir das, Bruder."
Nolan erhob sich wieder. "Die Götter gaben dir auch Verstand und einen guten Platz in der Welt. Aber du hast ihre Gaben ignoriert."
"Es muss leicht sein, wenn man alle Fragen mit frommen Glaubenslehren beantworten kann. In gewisser Weise beneide ich jeden, der Trost in den Weisheiten anderer findet."
"Und selbst jetzt hast du nichts als Spott übrig."
"Was soll ich denn sonst empfinden?"
"Demut wäre angebracht. Oder wenigstens Reue."
"Was soll ich noch bereuen?"
"Dass du die Frau deines Königs gefickt hast."
"Du siehst das falsch. Ich habe nicht die Frau meines Königs gefickt. Der König hat meine Frau gefickt. Er hat sie mir gestohlen."
"Was glaubst du eigentlich, wer du bist?", zischte Nolan kalt.
Eine kleine Weile schwiegen die beiden. Dann erhob Rowan wieder die Stimme.
"Jetzt gerade bin ich ein verzweifelnder Liebender, der seinen kleinen Bruder um Hilfe bittet."
Nolan blickte ihn fragend an. "Und wie stellst du dir das vor?"
Rowan musste sich das alles schon überlegt haben. "Die Schlüssel zu besorgen ist ein Leichtes für dich. Führe Lynn und mich aus dem Tempel. Gib uns Kleider, damit wir uns verkleiden können. Ich bitte dich nicht, uns Waffen und Essen zu besorgen. Gib uns nur eine Stunde Vorsprung. Das ist alles. Du wirst uns nie wieder sehen."
Nolan dachte nach. "Das läge tatsächlich in meiner Macht. Und es gäbe sogar einen Weg, um jeden Verdacht der Beteiligung von mir zu nehmen."
"Dann hilf uns! Tu es!", sagte Rowan. Nolan kniete sich wieder vor seinen Bruder und schmunzelte sanft.
"Ich habe vor langer Zeit etwas begriffen.", flüsterte er, "Es gibt etwas, das wichtiger ist als wir beide. Etwas, das wichtiger ist als unsere Bedürfnisse und Wünsche. Es gibt eine Gerechtigkeit in dieser Welt, der sich niemand entziehen kann. Sie gewinnt immer die Oberhand und obsiegt schließlich." Nolan erhob sich wieder. "Ich kann dir nicht helfen. Das vermagst nur du allein."
"Du musst mir helfen! Du bist mein Bruder!", entfuhr es Rowan.
"Du irrst dich.", antwortete Nolan sanft, "Die Mitglieder des Ordens sind meine Brüder und Schwestern."
Rowan starrte ihn fassungslos an.
"Ich empfehle dir, deine restliche Zeit im Gebet zu verbringen.", fuhr Nolan fort. "Das ist ein Rat, den ich dir vor langer Zeit hätte geben sollen."
Er war rasch bei der Tür. Doch ehe er sie geöffnet hatte, hörte er noch einmal Rowans Stimme: "Dann rette Lynn. Bitte! Wenigstens Lynn."
Nolan verließ die Zelle ohne ein weiteres Wort. Der Lichtverehrer, der vor der Tür Wache gestanden hatte, schloss schweigend ab.
"Wann ist die Hinrichtung?", fragte Nolan den Mann.
"Zur sechsten Stunde am Morgen."
Nolan nickte und setzte den Weg zu seinem Arbeitszimmer fort. Er hatte noch etwas zu tun.
Die Hinrichtung der Ehebrecherin Lynn Montrose vorzuziehen, so dass sie gleichzeitig mit der von Rowan Trevelyan stattfand, war für einen Geweihten in seiner Position kein Problem.
Sollten sie den letzten Atemzug in diesem Leben gemeinsam tun.
12.02.2015 16:47
What?
Aber, aber Kobold!

Wie gut, dass alles ganz anders kommen wird :(
Fiona de Voine (Gast)
12.02.2015 17:21
Liam? Nein... nein, ich denke wirklich, daß du deine Familie meiden solltest. Sie werden nicht so gut auf dich zu sprechen sein, jetzt, da du deine geplante Zukunft im Praios-Tempel... nun sagen wir mal: abgelehnt hast. Die Laufbahn eines Praios-Geweihten liegt dir einfach nicht. ÜBERHAUPT NICHT!!

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