Der Kaiser – der Kaiser, der seinen Körper mit ETWAS teilt – drängt sich verängstigt in eine Ecke des Raumes. Rowan hat den Soldaten befohlen, die Stellung zu halten. Er ist mit diesen beiden unbegreiflichen Kreaturen vollkommen allein im Haus. Das hier muss schnell zuende gehen!
Rowan enthauptet den Kutscher mit einem Streich. Doch statt Blut steigt nur schwarzer Dampf aus dem Stumpf. Dieses unmögliche Ding bewegt sich weiter auf ihn zu. Und der Kopf, der zu Boden rollt, stößt empörte Flüche aus.
Lynn,
Du wirst es nicht glauben, doch mir hat sich eine Weisheit erschlossen: Wenn wir öfter auf die Lehren der Maester hören würden, dann würden wir vielleicht begreifen, dass ihre Ratschläge und Sinnsprüche allesamt wahr sind. Du weißt, wovon ich rede. Ich zum Beispiel höre die knarrende Stimme von Maester Gofraidh in meinem Kopf (Du erinnerst Dich an ihn?) und sehe den Blick der Ungläubigkeit in seinem sonst so geduldigen Gesicht, den er immer hatte, wenn er sich Mühe gab, mir etwas beizubringen. Ich war kein guter Schüler. Wirklich nicht. Und ich rechne es diesem Mann hoch an, dass er mich trotzdem nicht aufgab.
Jetzt stell Dir seine tiefe Stimme der Vernunft vor und sprich es in Deinem Kopf nach: Halte inne, Rowan. Denke nach, bevor Du handelst. Bedenke Deine Schritte. Schau zurück, ehe Du voran gehst. Handle nicht impulsiv. Du bist zu wenig bedacht.
Jetzt sehe ich Dein Gesicht. Du hast den Kopf schief gelegt. Du schmunzelst, weil Du seine Stimme ganz genau wie ich gehört hast, und Du bist verblüfft, wie deutlich sie noch ist nach all den Jahren. Aber über Deinen Augen hat sich auch diese kleine Falte gebildet, wie immer, wenn Du etwas nicht verstehst (oder wenn Du wütend bist). Und Du fragst Dich zu recht, worauf ich eigentlich hinaus will. Es ist so:
Jetzt, hier in dieser Zelle, bin ich gezwungen, nachzudenken, wenn ich nicht im Wahn meine blanken Fäuste an den Wänden zerschmettern will. Die stundenlange Stille und die Untätigkeit laufen allem zuwider, was ich bin. Und jetzt, in diesem Augenblick, sind es nur zwei Dinge, die meinen Zorn im Zaum halten: Das erste ist der Gedanke an Dich und an die Zukunft, für die wir beide schon so lange kämpfen und die nun in greifbare Nähe rückt. Du bist die Einzige, die die wundersame Eigenschaft besitzt, mich zur Ruhe zu bringen. Achte nur darauf, dass man Dir nicht Hexerei unterstellt. Das scheint Mode zu sein in letzter Zeit. Das zweite, das mich ruhig hält, sind tatsächlich die Weisheiten des Maesters mit seinem lächerlichen Wackelbart und den buschigen Augenbrauen. Und wieder seine Stimme: Blicke zurück. Ordne Dir im Kopf, was gewesen ist, und Du wirst wissen, wohin Dein Weg geht. Dann wirst Du Kraft finden für jedwede Aufgabe.
Dieses Ding – der Kutscher, der Cara haben will, der Fiona ein verlockendes Angebot gemacht hat, der die Kaiserin Mutter auf so barbarische Weise getötet hat – ist unglaublich stark. Rowans Rüstung wird nicht wieder zu reparieren sein. Das ist jetzt nicht mehr wichtig. Denn man kann diese Kreatur verletzen. Nicht nur hat sie keinen Kopf mehr, sie hat auch klaffende Wunden an Brust und Armen. Rowans Ausbildung macht sich bezahlt.
Da wird Rowan zurückgedrängt, als der kopflose Leichnam den Klingenstock nach ihm wirft und den Schild spaltet. Der abgetrennte Kopf liegt immernoch auf dem Boden.
Blenden! Er muss geblendet werden.
Rowan lässt den Klingenstab des Kutschers hinabsausen und trifft den Kopf zielsicher. In einer kleinen Explosion zerplatzt der Kopf wie eine reife Frucht.
Schön, dann bin ich also bedacht und will, um meine Gedanken zu ordnen, irgendetwas niederschreiben. Eitel wie ich bin bezeichne ich es als mein Vermächtnis. Ich fürchte aber, mein Vermächtnis werden nur diese Worte sein, sollten die Dinge schlecht ausgehen.
Wenn Du diesen Brief erhälst, wirst Du bereits über die Umstände informiert worden sein, unter denen es dazu kam. Und ich werde dann bereits tot sein. Das ist ein Umstand, den ich nicht gedenke, eintreten zu lassen. Es ist seltsam, Zeilen zu schreiben, von denen man hofft, dass niemand sie jemals lesen wird. Doch sollte das Gottesurteil mein Leben fordern, dann wird dieser Brief Dich erreichen. Wenn nicht, dann wird er ungelesen verbrennen. Ich hoffe, dass der einzige Zweck dieser Zeilen ist, mir selbst zu schreiben.
Ist es nicht eine Ironie, dass ich damit rechnen muss, den Tod bei einem Gottesurteil zu finden? Ich habe immer damit gerechnet, dass es durch das Henkersbeil des Königs oder – im besten Falle – durch hohes Alter geschehen würde und nicht durch die Waffe eines religiösen Eiferers. Wieder einmal müssen sich die Götter in alles einmischen!
Das linke Bein ist hinüber. Im Inneren der Panzerung sammelt sich Blut, das aus der tiefen Rückenwunde läuft. Rowan spürt das Schwindelgefühl, schmeckt Blut und atmet rasselnd. Er wird lange brauchen, um sich davon zu erholen. Doch er hat die Situation unter Kontrolle.
Da springt ihn der Kaiser von hinten an. Der Kaiser, den er schützen will. Doch so schnell er da war, so schnell ist er auch wieder weg. Eine schnelle Drehung, um zu begreifen, was hinter seinem Rücken passiert. Der Kaiser wird von ETWAS fortgezogen, von einem Arm aus Schatten, weg von Rowan. Rowan blinzelt, als er diesen Arm sieht. Und er ist dem Ding seltsam dankbar, auch wenn sich in diesem Augenblick nicht erschließt, wer hier gegen wen steht. Der enthauptete Kutscher steht vor Rowan und ist eingequetscht zwischen der Wand und dem gespaltenen Schild des Ritters. Um den Kaiser kann Rowan sich später kümmern. Er wendet den Blick wieder seinem eigentlichen Gegner zu.
Genug des Spotts!
Wie schreibt man im Angesicht des möglichen Endes ein solches Vermächtnis nieder?
Mir kam ein Gedicht in den Sinn. Kannst Du Dich an diesen Sänger erinnern, der vor einigen Jahren von der Praios-Kirche dafür verbrannt wurde, weil er ein paar freche Worte gedichtet und sie im Suff in einem Hurenhaus ausgesprochen hat? Ich habe seinen Namen vergessen, nicht aber seine Worte:
Was bedeutet ein Ungläubiger für einen König?
Was bedeutet ein König für einen Gott?
Was bedeutet ein Gott für einen Ungläubigen?
Du hast recht, ich sagte, ich will nicht mehr spotten. Aber das hier ist kein Spott. Tatsächlich sprach mir dieser unvorsichtige Narr aus der Seele. Aus seinen Worten entnahm ich eine Erkenntnis: So mächtig ein Mann, eine Frau oder selbst ein Gott auch ist – es gibt immer einen, dem diese Macht nichts bedeutet, der diese Macht nicht hinnimmt und duldet. Daraus folgt die Devise, die andere mächtige Männer gern vor sich hertragen, wenn sie andere Männer mit ein bisschen Macht einschüchtern wollen: Macht hat, wem Macht gegeben wird. Das heißt, ein jeder kann selbst Göttern und Königen ihre Macht nehmen, indem er sie ihnen einfach nicht zugesteht. Ein Geist ist frei von allen Ketten (selbst wenn der Körper in Ketten steckt), wenn er sich nicht beugt. Und diese Einsicht gab mir die nötige Kraft, um meine Machtlosigkeit in Zorn zu verwandeln und meine Taubheit in Schärfe.
Und so lebte ich – voller Leidenschaft und Feuer, voller Verachtung für die meisten und bedingunsloser Liebe für wenige. Niemand vermochte es, mich zu löschen. Wenn ich kniete, dann mit einem falschen Lächeln auf den Lippen und der Hand am Schwert. Wenn ich diente, dann immer mit einem Auge auf meine Herren, auf der Suche nach einem Angriffspunkt. Ich denke, so sah ich mich im Leben am liebsten: unbeugsam und eigensinnig, mit Sarkasmus als Schild und einem Messer als Zunge, nie fest auf einer Seite, außer meiner eigenen.
Er braucht einen Augenblick, um zu begreifen, was geschehen ist, denn er hat den Angriff nicht gespürt. Ein weiterer Schattenarm ist dem kopflosen Kutscher entwachsen. Dieses unmögliche Ding schlängelt sich aus einer Spalte im Mantel des Kutschers, fließt durch den gebrochenen Schild und findet einen Spalt in Rowans Brustpanzer. Er spürt, wie sein Umhang sich bewegt, als dieses Ding aus seinem Rücken wieder austritt.
Zuerst versagen Rowan die Beine.
Sollten meine Taten und mein Leben jemals in einem Buch erwähnt werden – ich bin eitel genug, um das für möglich zu halten – dann, denke ich, dass es heißen sollte:
Er war so vorwitzig und schlagfertig, dass ihm seine Eitelkeit und seine Anmaßung vergeben werden können. Er erschlug keine Drachen. In Turnieren schnitt er immerhin mittelmäßig ab. Sein Tanz war akzeptabel, ebenso wie seine Manieren. Aber er hatte ein lachendes Herz aus Feuer und Augen aus Eis. Entweder man liebte ihn, oder man verachtete ihn, doch niemandem war er gleichgültig.
Und wenn es nur einen einzigen Menschen auf dieser Welt gibt, der sich meiner so erinnert – wenn es überhaupt jemanden gibt, der sich meiner erinnert – dann werde ich unsterblich sein. Dann haben nicht einmal mehr die Götter Macht über mich.
Ich wünsche mir, dass Du dieser Mensch bist.
Mehr noch aber wünsche ich mir, dass dieser Brief von den Flammen gefressen wird und ich noch tausend Jahre Zeit habe, um meine eitlen Erkenntnisse in Zweisamkeit mit Dir zu besprechen. Ich will, dass Du sie mir zerpflückst und mir dann den Kopf gerade rückst und mich auf den Boden holst. Alle weiteren Handlungen zu beschreiben, die ich mir zudem noch vorstelle, verbietet der Anstand und gehört nicht in einen Brief.
Vergiss nicht: Ich habe Dir versprochen, dass ich jeden töten werde, der sich noch einmal zwischen uns stellt. Und sollte ich mich in Borons Reich wiederfinden, dann werde ich Boron töten.
Ich werde zu Dir zurück kommen.
Rowan
Rowan spürt nicht mehr, wie er auf dem Boden aufschlägt. Er bemerkt nicht, dass sich draußen vor dem Fenster die Raben erheben und über die Soldaten herfallen. Er bemerkt auch nicht, wie dunkel es im Raum geworden ist, weil die Lampen umgekippt und ausgegangen sind. Und er bemerkt auch nicht die nunmehr einzige Lichtquelle im Raum. Würden Rowans Augen noch irgendetwas wahrnehmen können, dann würden sie das leuchtende Herz des vernichteten Kutschers sehen, das im zusammengefallenen leeren Kutschermantel liegt. Dann würde seine Augen das kühle und verlockende Leuchten sehen, das sich nun auch in der Blutlache spiegelt, die sich unter Rowan ausbreitet. Und seine Ohren würden die friedvolle Stille im Raum wahrnehmen. Kein Geräusch. Keine Bewegung. Kein Atmen. Nichts.
|