Die Barrens waren weiß Gott kein schöner Ort. Natürlich hatten sie ihren Charme – den Charme von Dreck und Graffiti und Schatten eben – aber schön waren sie nicht. Außer manchmal, wenn man abends den Himmel sehen konnte, wie er sich von blau zu orange zu rosa färbte, und die Sonne einen hellen, feurigen Kontrast zu den staubigen zusammengeschusterten Dächern der Stadt bildete.
Joy hatte ihre Beine durch das Geländer auf ihrem Dach geschoben und ließ sie nun runterbaumeln, während sie sich durch den sumpfgrünen Iro strich und an ihrer Zigarette zog. Rauchen war nur eins der vielen Dinge, die sie sich mittlerweile angewöhnt hatte, einfach, weil sie besser in ihr neues Leben passten. Alles, was sie so weit weg von Konzernen und ihrer Scheißsterilität brachte, wie nur möglich. Zigarettenrauch war dreckig, aber zumindest war er ehrlich. Dreck war ehrlich. Irgendwann würde er sie vielleicht krank machen oder sogar töten, aber zumindest machte er daraus keinen Hehl. Konzerne mit ihrer sauberen, perfekten Lüge von Sicherheit und Vertrauen konnten sie mal kreuzweise. Nie wieder.
BLING!
Eine neue Nachricht. Ihr Dad. Die Nachricht lautete: „Ganz wie ihre große Schwester…ihr macht’s eurem Vater echt nicht einfach.“ Dazu gab’s ein kurzes Trideo von Sam auf einem Motorrad, wie sie eine frisch gepflasterte Konzernstraße runterdüßte. Sie sah glücklich aus. Joy lächelte unweigerlich und antwortete: „Hättest ihr ruhig ‘ne Maschine mit mehr Gängen geben können. ;)“
„Bist du verrückt? Wie soll ich denn da noch ruhig schlafen können?!“
Ihr Lächeln wurde breiter und sie nahm noch einen Zug. Sam kam tatsächlich sehr nach ihr. Irgendwann würde Joy ihr was Ordentliches bauen, vielleicht zum 18. oder so.
BLING! Noch eine Nachricht von ihrem Vater.
„Du fehlst uns. Sag Bescheid, wenn du mal wieder vorbeikommst, würden uns freuen.“
Sie antwortete nicht. Später vielleicht. Ihre Familie fehlte ihr auch. Aber nach allem, was passiert war, konnte sie sich nicht mit ihnen in eine strahlend saubere Küche setzen und Abendbrot essen. Das waren Dinge, die in ein früheres Leben gehörten – als sie Konzernstraßen und sauberen Küchen noch vertrauen konnte. Manchmal beneidete sie ihren Dad und die Zwillinge um dieses blinde Vertrauen. Die drei hatten sich in dem neugegründeten Konzern schnell eingelebt und ihr altes Leben nahtlos wieder aufgenommen. Aber sie hatten ja auch nicht die Dinge tun müssen, die Joy getan hatte. Sie beklagte sich nicht – diese Dinge hatten getan werden müssen. Aber sie wäre eine Lügnerin, wenn sie behaupten würde, sie hätten sie nicht verändert. Vielleicht war es nicht die saubere Küche, die nicht mehr in Joys Leben passte – vielleicht war es auch Joy, die nicht mehr in diese Küche passte.
BLING!
„Hey Rookie. Unser Rigger ist down und wir haben am Mittwoch ‘nen Run. Nichts Großes, 3000 pro Nase. Bock, mal aus der Werkstatt rauszukommen? Meld dich. – Onion“
Joy betrachtete die Nachricht einige Augenblicke nachdenklich. Im Fenster daneben blinkte immer noch die unbeantwortete Nachricht ihres Vaters. Dann nahm sie den letzten Zug ihrer Zigarette.
„Ich komm morgen früh rum. Bin dabei.“
Und fast gleichzeitig tippte sie die Antwort an ihren Vater: „Sorry, Dad. Muss arbeiten. Aber irgendwann später vielleicht.“
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