Divine Cast
24.01.2012
Momper
Kommentare: 2
1979
"Ist Ihnen eigentlich bewusst, wie weit Sie unserer Zeit mit dieser Erfindung voraus sind, Miss Evans? Ihre Schöpfung ist mit keinem geringeren Attribut als göttlich zu bezeichnen."
"Bitte nennen Sie mich Caitlin, Mister Chapman."
"Dann muss ich aber darauf bestehen, dass ich für Sie nicht Mister Chapman bleibe."
"Gut, dann Reuben?"
"Ich habe so etwas wie einen Spitznamen, der mir lieber wäre. Nennen Sie mich Atum."
Sie musterte ihn mit einem Schmunzeln, in dem viel zu deutlich geschrieben stand, wie sympathisch er ihr bereits geworden war. Er bedachte sie mit einem großväterlichen, sehr wohlwollenden Blick und widmete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf das, was sie ihm gerade zeigte. Der Realismus der Simulation, die sie in nur einem Monat erzeugt hatte, war von einem so hohen Grad, dass man beinahe das Gefühl hatte, man könne die Gebäude, den Boden und all die anderen Details berühren, wenn man nur irgendwie durch die dicke Glasscheibe des Röhrenmonitors gleiten könnte. Selbstverständlich war Caitlin stolz darauf, aber diesen beeindruckenden Mann dabei zu beobachten, wie er sich mit kindlicher Begeisterung wieder und wieder durch die Straßen der Stadt bewegte, die sie geschaffen hatte, erst das erzeugte in ihr ein Gefühl, gerade einen wirklich wichtigen Moment zu erleben.
Der Mann musste die 80 bereits überschritten haben. Er hatte Mühe gehabt, sich neben sie auf einen der niedrigen Universitätsstühle zu setzen. In seiner mehr als altmodischen Brille reflektierte das Flimmern des Monitors. Doch in den Augen dahinter konnte sie deutlich eine Schläue und Wachheit erkennen, die sie noch nie bei einem Menschen von so hohem Alter beobachtet hatte.
"Interessieren Sie sich für altägyptische Legenden, Caitlin?", nahm er das Gespräch schließlich wieder auf, ohne den Blick vom Monitor zu nehmen, was der Frage etwas Nebensächliches gab.
"Ich habe ein paar Bücher und Texte gelesen. Aber ich bin eher ein Mensch, der sich für die Zukunft interessiert, Sir.", antwortete sie beinahe verlegen.
"Zukunft und Legende müssen sich nicht unbedingt ausschließen.", erwiderte er mit noch immer konzentrierten Blick auf den Bildschirm, "Ich bin der Meinung, dass die alten Götter der Ägypter noch immer aktuell sind. Sie sind Sinnbilder und Idole. Und jeder Mensch entspricht einem davon. In etwa so wie die Totems der amerikanischen Ureinwohner."
Sie blickte ihn wieder an – viel zu fasziniert, wie ihr zu spät bewusst wurde.
"Und welcher Gott würde mir entsprechen, Sir?"
Noch während sie die Frage aussprach, fiel ihr auf, wie eitel und dümmlich sie jetzt erscheinen musste.
"Das kann ich Ihnen vielleicht sagen, wenn wir uns noch ein bisschen näher kennen gelernt haben.", sagte er, als er den Blick nun wieder auf sie richtete, "Aber ich habe bereits eine Vermutung."

2011
Die Göttin Isis schritt gemächlich durch die große Halle ihres Tempels, vorbei an den Mamorsäulen, zwischen denen ihre Sklavinnen geduldig warteten. Erst als sie das Becken erreicht hatte, traten zwei von ihnen an ihre Herrin heran. Während die eine ihr die Gewänder vom Körper nahm, band die andere das Haar der Göttin zurück und führte sie dann in das perfekt temperierte Wasser. Als sie schließlich bis zu den Schultern darin versunken war, gab sie den beiden den Befehl, mit der Waschung zu beginnen.
Sie genoss die Berührungen, auch wenn es ihr wie immer ein unbefriedigtes Gefühl gab, wenn sie daran dachte, dass diese Frauen nichts als Simuloiden, nicht echt, nicht ehrlich waren. Sie empfanden weder Liebe, noch Furcht, noch Respekt vor ihr oder irgendwem sonst, so realistisch sie diese Dinge auch darstellen konnten.
Das empfand Isis als Fluch. Keiner kannte die Beschaffenheit der Welten von Khem besser als sie, die sie nach den Wünschen Atums gestaltet hatte. Es gab jetzt keine Grenzen mehr. Keine Form, kein Alter, keine Moral. Aber sie war nun hier, während er in seinem eigenen Reich war. Jeder von ihnen war allmächtig und unangreifbar und in unerreichbare Ferne gerückt für jeden. Wann hatte sie zum letzten Mal ihre Freiheit genossen? Müsste nicht allmählich der Moment in diesem Traum kommen, an dem sie die Früchte kosten konnte, die Vorteile all dieser Mühen, all dieser vielen Arbeit und all der verfallenen Moral?
Die Göttin Isis erhob sich und ließ das Wasser von ihrer milchweißen Haut gleiten. Schon waren die Sklavinnen außerhalb des Beckens und erwarteten sie mit duftenden Tüchern. Als die erste sie berühren wollte, schlug die Göttin so rasch und hart zu, wie sie nur konnte. Dann richtete sie das Wort an die anderen.
“Es ist mein Wille, dass Ihr ins Wasser geht und Euch ersäuft.“
Sie brauchte kein Handtuch, um trocken zu werden. Es geschah allein durch ihren Willen. Oder besser: Sie befahl der Virtualität, dass sie nicht nass war.
Sie wusste, was sie nun tun würde. Es würde ein weiterer Betrug sein an ihm und sich selbst. Während die Sklavinnen gurgelnd im Wasser versanken, erweiterte die Göttin ihre Wahrnehmung, dehnte ihren Geist aus und fand schließlich ihr Ziel.

1980
“Atum, eine solche Technologie ist nicht möglich.“
“Ist sie nicht möglich, oder ist sie noch nicht erfunden?“
Sie wusste nicht, ob sie diesen Mann des Größenwahnsinns oder der visionären Fortschrittlichkeit bezichtigen sollte.
“Sie ist… Hast Du auch nur eine Vorstellung davon, wie viel Geld nötig sein wird, um diese Menge an Rechenleistung zu erzeugen?“
“Ich würde Dich nicht fragen, Caitlin, wenn ich das wüsste.“
“Tja, also…“, sie beschaute sich noch einmal die Pläne, „Ich kann so etwas bauen, wenn ich…“
“…alle benötigten Mittel erhalte.“, unterbrach er sie und schmunzelte wieder dieses wohlwollende Lächeln.
“Du kannst ganz schön überzeugend sein, weißt Du das?“, sagte sie mit einem ungläubigen Lachen.
“Isis.“
“Was?“
“Du bist Isis. Die Magierin. Du kannst erzeugen und sehen, wie niemand sonst es kann.“
Eine Weile konnte sie nichts weiter tun als zu blinzeln.

2011
Der Gott Atum war in tiefe Meditation versunken. Und wieder schien es, als würde das Universum direkt an die von diffusem Licht beschienene Liegewiese angrenzen. Nebethetepet befand sich wie immer in der Nähe und wartete voller Geduld. Doch dann öffnete sie die Augen, ohne dass er ihr es befohlen hätte, und betrachtete den zeitlosen Körper ihres Gemahls. Nahm jede weiche Rundung seines Gesichtes auf, jede feine Furche auf dem Rücken, den Armen und der Brust. Da er den Simuloiden nicht beachtete, bemerkte er weder den sehnenden Blick, noch das verlegene Lächeln.

Go to him, stay with him if you can.
Oh but be prepared to bleed.
Oh but you are in my blood you're my holy wine
Oh and you taste so bitter, bitter and so sweet
Oh I could drink a case of you darling
Still I'd be on my feet
I'd still be on my feet
(Joni Mitchell – Case Of You)
24.01.2012 23:20
Abgründe! o.O  Das erklärt einiges!   Aber wunderschön geschrieben!! :) I like!
25.01.2012 00:15
In der Tat...o.O Nephtis hätte sich mal ein bisschen mit Caitlins Vater-Tochter-Beziehung auseinander setzen sollen. Naja....zu spät^^
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